Abschluss noch offen: Die FC-Spieler beim letzten Training der Saison

Ab in den Keller

Der 1. FC Köln ist zweitklassig. Statt gegen Dortmund spielt man künftig gegen Elvers­berg. Wie konnte es ­soweit kommen? Protokoll eines Abstiegs

In der dünner gewordenen Luft des Abstiegskampfs nahm Michael Weber laute Atemzüge, bevor seine feste Stimme wieder von der Bande über den Trainingsplatz 1 am Geißbockheim donnerte. »Die ham Köttel inne Botz!« In der Ferne versammelten sich die Profis des 1. FC Köln zum Mannschaftskreis. Die erdbeerroten Trainingsklamotten der Spieler. Der Geruch des Rasens nach dem Morgenregen. Als die Mannschaft aufbrach zu ihrem Aufwärmtrab, setzte Michael Weber zu einer weiteren Salve an. »Nimm die Hände ausse Hosentaschen aufm Fußballplatz!« — »Gib Gummi!« — »Was ihr Samstach gegen Darmstadt gespielt habt, Frechheit!«

Aus großer Entfernung brüllte jetzt Co-Trainer Kevin McKenna in unsere Richtung. »Geh nach Hause!« »Wie redest du mit mir! Ich bin seit meiner Jugend beim Effzeh, ich fahr jedes Auswärtsspiel mit, selbst zu Coronazeiten, ich war in euerm Trainingslager in Alicante!« Die beiden Männer pöbelten sich an, während McKenna auf Michael Weber zustampfte. Die werden handgreiflich, dachte ich. Schreiend standen sie neben mir. Mein Notizbuch auf der kalten Eisenführung der Bande. »Brauchst du doch nicht mitzuschreiben«, sagte McKenna und blickte mich an. »Warum schreibst du das hier mit?«

Es war Ende April, der Frühsommer hielt inne, schwere Regentropfen stürzten aus den Bäumen des Grüngürtels, und der Effzeh war noch nicht zum siebten Mal im Fahrstuhl seiner Bundesligageschichte eine Etage hinuntergefahren, abgestiegen. Während ich diesen Text schreibe, werden Chef-Trainer Timo Schultz und die ­beiden Co-Trainer André Pawlak und Kevin McKenna entlassen. Jeff Chabot, aggressive leader der Abstiegsmannschaft, und Nachwuchstalent Justin Diehl wechseln zum VfB Stuttgart. Torhüter Marvin Schwäbe hat eine Ausstiegsklausel, bei Linton Maina und Kapitän Florian Kainz wird über solche Klauseln spekuliert, und Stürmer Davie Selke hat keinen Vertrag für die 2. Liga. Immerhin werden Eric Martel, Timo Hübers, Jan Thielmann und Mark Uth beim Effzeh bleiben. Infolge der Transfersperre wird es auch in diesem Sommer keine Neuverpflichtungen geben, und alleine die TV-Einnahmen brechen mit dem Abstieg um rund 29 Mio. Euro ein, die Sponsoring-Erlöse um geschätzte 15 Mio. Euro. Welche Spieler für den 1. FC Köln Anfang August auf dem Platz stehen werden, gegen SV Elversberg statt gegen ­Borussia Dortmund, ist Mitte Juni nicht abzusehen.

Bei nur acht Grad im April trug Michael Weber, 60 Jahre alt, ein kurzärmeliges schwarzes Polohemd, das über ­seinem Bauch spannte, die kurzen graumelierten Haare zurückgegelt, an seinem Kragen steckte ein Pin der Red Army Cologne, einer Hooligan-Gruppierung. Weber und McKenna keiften sich weiter an. »Wenn du alles besser weißt, willst du Trainer sein? Komm, mach du!« »Darum geht’s nich!« »Komm auf den Platz, los, ich halt die Jungs an!«

Da gestikulierte McKenna schon in Richtung der Spieler, die ihre Runden auf dem Platz drehten. Kurz ­zögerte Weber, bevor er sich über die Bande schwang wie über einen Barren in der Schulturnhalle.
»Absteigen ja, man kann absteigen, aber nicht mit som Auftreten wie Samstach gegen Darmstadt! Und wo is euer Trainer?«

Was ihr Samstach gegen Darmstadt gespielt habt, Frechheit!FC-Fan Michael Weber beim Training am Geißbockheim

Die Hände in den Hosentaschen ging Timo Schultz auf seine Mannschaft zu, vor der Michael Weber stand.»Da is er ja. Du musst den Downs aufstellen! Schießen wir wenichstens ma Tore.« Den Rest konnte man vom Rand des Trainingsplatzes nicht verstehen. Mit 0:2 war der Effzeh dem Tabellenletzten aus Darmstadt im Abstiegs­gipfel unterlegen, einem Sechs-Punkte-Spiel, in dem die Geißböcke, selbst Tabellenvorletzter, zu Mainz, Bochum und Union Berlin hätten aufschließen können. Wieder blieben harmlose Kölner torlos, blieben bei mickrigen 23 Toren in 30 Spielen. Keine Körpersprache, kein Aufbäumen. Ein gellendes Pfeifkonzert von der Südtribüne. »Keller raus!«, schallte es nach Abpfiff durch das Stadion, anschließend zitierten die Effzeh-Ultras die Mannschaft zur Standpauke vor die Kurve.

Auf 80 Mio. Euro hatten sich die Verbindlichkeiten des 1. FC Köln belaufen, als Christian Keller im April 2022 antrat. Der schlaksige Sport-Geschäftsführer reduzierte das Kaderbudget von einst 60 Mio. Euro vor der Abstiegssaison auf rund 40 Mio. Euro, unter ihm schreibt der Klub erstmals seit Jahren wieder schwarze Zahlen, ohne Sonder­einnahmen wie Transfererlöse. Adäquaten Ersatz für Vereinslegende Jonas Hector und Leistungsträger Ellyes Skhiri verpflichtete Keller jedoch nicht, und nach einer Hinrunde mit zwei Siegen und zehn Punkten aus 16 Spielen entließ er am 21. Dezember 2023 Trainerikone Steffen Baumgart, der mit seiner Schiebermütze nicht weit entfernt schien, mit einer eigenen Steinfigur am Rathausturm verewigt zu werden.

Der Neue wurde Timo Schultz. Die Pressekonferenzen wurden sachlicher, der Konkurrenzkampf im Kader härter, Stürmer Steffen Tigges plötzlich auf der Tribüne, Faride Alidou und Sargis Adamyan hingegen in der Startelf. Die Grundformation blieb ein 4-2-3-1, zum Teil mit falscher Neun hinter einem Stoßstürmer, Steffen Baumgarts Vollgas-Pressing wich allerdings einem kontrollierteren Fußball mit reduziertem Flankenspiel, zumal 1,94-Meter-Mittelstürmer Davie Selke die Rückrunde bis auf vier Spiele wegen zweier Mittelfußbrüche verpasste. Am Karnevalssonntag fing sich der Effzeh in der Nachspielzeit den 1:1-Ausgleich in Hoffenheim, hatte nun aber dreimal in Folge nicht verloren und einen Tabellenplatz gutgemacht. Überall in der Domstadt hängten Fans Plakate auf, weiße Schrift auf rotem Hintergrund: »Effzeh, jeff Jas, he weed nit resigniert«. Beim Rosenmontagszug machte Schultz in rotweiß-gestreiftem Karnevalsshirt auf dem Geißbock-Wagen eine gute Figur.

Nach Niederlagen gegen Bremen und Leverkusen setzte es eine 1:5-Klatsche gegen RB Leipzig, das in Köln in der zweiten Halbzeit vier Tore binnen 20 Minuten schoss. »Wir hassen Ostdeutschland!«, sang die Kölner Südtribüne, am Antidiskriminierungsspieltag. Auf Xavi Simons, zuvor mit provozierendem Jubel nach dem Leipziger Führungstreffer, warf die Südtribüne eine Glas­flasche. Gegen Bochum drehten die Geißböcke in der Nachspielzeit einen Rückstand noch in ein 2:1, es folgten zwei 0:2-Niederlagen in München und gegen Darmstadt, nach denen der Abstand zum Relegationsrang 16 fünf Punkte betrug.

»Du schreibst ja vernünftich, ne?« Michael Weber tätschelte mir die Schulter, als die Spieler den Trainingsplatz verließen. Ob wir kurz reden wollten, fragte ich. Er sei wirklich keiner, der alles schlechtrede, erklärte Weber und deutete auf den langen flachen Bau des Geißbockheims, hinter dessen dunklen Fenstern sich auch das Büro von Christian Keller befindet. »Aber seitdem der hier is, ham wir nichts mehr geholt. Wir haben Conference League gespielt, überleg doch ma.« »Aber ist Schultz, den Keller geholt hat, der Richtige?« »Haste nich gehört, was der zu mir gesagt hat vorhin aufm Platz? Ich bin der Trainer, nicht du, hat er zur mir gesagt, die Aufstellung mach ich, und jetzt verpiss dich zurück hinter die Bande.«

Noch unter Baumgart, vor nicht einmal eineinhalb Jahren, hatte der 1. FC Köln im dritten europäischen Pokal­wettbewerb für Vereinsmannschaften nach Champions League und Europa League gespielt. Für das letzte Gruppenspiel gegen OGC Nizza hatte ich Karten auf der Ost­tribüne. In Trikots mit Conference-League-Logos auf den Ärmeln liefen die Spieler zur Conference-League-Hymne ein, um kurz vor 21 Uhr unter dem Kölner Abendhimmel. Am Stadiondach die grellen Scheinwerfer, auf eine große Bühne gerichtet.

Im Herbst 2017 hatte der 1. FC Köln gar in der Europa League etwa Arsenal London in Müngersdorf empfangen. Wer Europapokal spiele, der benötige erst Recht ein größeres Stadion, so setzte die damalige Geschäftsführung um Alexander Wehrle die Stadtverwaltung unter Druck, man lieb­äugelte mit einem Stadionneubau in Pulheim. Heute möchte der Klub nach wie vor sein ­Trainingsgelände am Geißbockheim erweitern, ein Nachwuchs­leistungszen­trum und drei zusätzliche ­Fußballplätze auf der Gleueler Wiese bauen. Lange stand zuletzt auch ein Umzug der Profiabteilung nach Marsdorf im Raum. Anfang April beerdigte die Geißböcke-Führung alle Umzugspläne, weil das Geld für einen Neubau fehlt, und just am Mittwoch nach dem Darmstadt-Spiel revidierte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein Urteil des OVG Münster, das die Bebauungspläne des 1. FC Köln für den Grüngürtel für unwirksam erklärt hatte. Trotzdem ist ein zügiger Bau­beginn rund um das Geißbockheim nicht in Sicht. Es gibt keine politische Mehrheit dafür.

Christian Keller ist für mich der Christian Lindner des 1. FC KölnFC-Fan Alexander Pentzinger

Beim Auswärtsspiel in Mainz gelang dem Effzeh am letzten Aprilsonntag erneut kein Tor aus dem Spiel heraus. Erst tief in der Nachspielzeit versenkte Florian Kainz einen Elfmeter zum 1:1. Während die Mannschaft weiter durch den Abstiegssumpf watete und ihren Glauben nicht verlieren durfte, suchte Präsident Werner Wolf die Öffentlich­keit. Im Geißbock-Echo, dem Fanmagazin, stärkte er Geschäftsführer Keller vorbehaltlos den Rücken, »weil wir die intensive Aufarbeitung der Fehler anerkennen, die selbstkritische transparente Analyse der Situation«, schrieb Wolf. Der Kölnischen Rundschau gewährte er ein Interview, in dem er auch auf die Frage nach einem möglichen Abstieg antwortete: »Sollte es so kommen, dann werden wir uns das Ziel Wiederaufstieg in den ersten ­beiden Jahren setzen.«

»Christian Keller ist für mich der Christian Lindner des 1. FC Köln«, sagte Alexander Pentzinger, der eigentlich anders heißt, vor dem Freiburg-Heimspiel unter der Südtribüne. Die Wolken im Westen Kölns verdüsterten den frühen Abend und am Stadion öffneten die Bierstände. Seit zwölf Jahren hat Pentzinger eine Dauerkarte, der pensionierte Jurist trug das Haar akkurat zur Seite gekämmt, runde Brillengläser, einen Effzeh-Schal um den Hals.

»Viel zu rigider Sparkurs. Man hätte den Abbau der Verbindlichkeiten zeitlich strecken können, um Geld für Spieler in die Hand zu nehmen, mit denen man nicht im Abstiegskampf gelandet wäre.« Seine zweite Kritik sei die Transfersperre, wie hätten die Verantwortlichen es so weit kommen lassen können? Im Januar 2022 hatte der 1. FC Köln den 16-jährigen Jaka Cuber Potocnik verpflichtet, dessen Mutter den eigentlich bis 2024 datierten Vertrag ihres Sohns bei Olimpija Ljubljana kurzerhand gekündigt hatte. Anstiftung zum Vertragsbruch von minder­jährigen Spielern stand gegen die Domstädter im Raum, und der CAS, der Internationale Sportgerichtshof, bestätigte die Transfersperre der FIFA, erst im kommenden Winter kann der 1. FC Köln wieder neue Spieler verpflichten.

»Da muss man sich doch außergerichtlich einen Deal machen«, sagte Alexander Pentzinger, als er sich zur Einlasskontrolle an der Osttribüne anstellte. Ob er seine Dauerkarte in der 2. Liga noch einmal verlängern würde, wusste er noch nicht. Auf dem Rasen folgte im Müngersdorfer Regen eine weitere Demonstration der offensiven Harmlosigkeit der Geiß­böcke. Keine Tore, auf beiden Seiten, 0:0. Am zweiten Mai-Samstag, eine Woche später, gastiert Union Berlin in Köln. Es ist das Endspiel für die Geißböcke, die gewinnen müssen, um nicht im eigenen Wohn­zimmer rechnerisch sicher abzusteigen. Ausverkauftes Stadion. Der von der Sonne glattgehobelte Himmel.

Um 15.24 Uhr tönt die Effzeh-Hymne aus den Stadion­lautsprechern. »Un mer jon met dir, wenn et sin muss, durch et Füer«, da hört man die Höhner vom Band schon gar nicht mehr, nur noch die 50.000 Kölner Kehlen, »halde immer nur zo dir, FC Kölle!« Über der Südtribüne flimmern die rot-weißen Effzeh-Schals, wogt ein Fahnenmeer. Könnt ihr nicht machen, denke ich mit Gänsehaut auf der Pressetribüne, vor diesen Fans absteigen, in diesem Stadion künftig zweite Liga spielen. Dann laufen die Mannschaften ein.
Um 15.44 Uhr, in der 15. Minute, köpft Robin Knoche eine Ecke der Gäste zum 0:1 ein. Um 15.48 Uhr verwandelt Kevin Volland einen Handelfmeter zum 0:2. Die schweigende Südtribüne. Um 16.15 Uhr senden die Geißböcke ein Lebenszeichen, schiebt Florian Kainz kurz vor der Halbzeit einen Foulelfmeter zum 1:2 ein.

Wir sind Kölner — und ihr nicht!FC-Fans zur eigenen Mannschaft am letzten Spieltag

Um 17.07 Uhr benötigt der Effzeh immer noch zwei Tore, von denen in der 76. Minute keines ansatzweise in der Luft liegt, um nicht in einer Viertelstunde abgestiegen zu sein. Unten auf dem Rasen viele technische Fehler, verspringende Bälle, nicht abgestimmte Laufwege, Ballbesitz für den Effzeh, der allerdings im letzten Drittel, vor dem gegnerischen Tor, harmlos bleibt. Ein Spiegelbild der Saison, denke ich, aber das kannst du nicht so schreiben, zu abgenutzt, Phrase.

Um 17.18 Uhr köpft Steffen Tigges zum 2:2 ein. Um 17.23 Uhr nickt Damion Downs, der von Michael Weber geforderte Youngster, in der dritten Minute der Nachspiel­zeit eine Flanke von Minton Maina zum 3:2 für den Effzeh ein. Der unfassbare Geräuschpegel. Die gesamte Kölner Bank jubelnd auf dem Rasen. Gleißendrot britzeln die Leuchtkugeln, die im Unterrang der Südtribüne gezündet werden, Rauchfahnen wehen über den Platz, als stehe der Effzeh vor der Meisterschaft, obwohl man selbst bei einem weiteren Sieg nächste Woche auf die Ergebnisse in den anderen Spielen angewiesen sein wird.
Um 17.51 Uhr steht Dominique Heintz in der Mixed Zone unter der Westtribüne. »Eigentlich waren wir tot«, sagt der Linksverteidiger den Reportern, während seine kleine Tochter hinter ihm steht und Schweiß aus seinen Haarspitzen tropft, »und jetzt lebst du wieder.«

Sechs Tage später unterschreibt freitagmittags vor dem alles entscheidenden Auswärtsspiel in Heidenheim Mark Uth einen neuen Vertrag, der auch für die 2. Liga gültig ist. Ein Treueschwur. Es könne einer der kuriosesten Klassen­erhalte werden, hat Schultz auf der Pressekonferenz nach dem Union-Heimspiel gesagt, »wir werden uns gut auf Heidenheim vorbereiten.« Trotz der Verletzungen von Waldschmidt und Finkgräfe wirkt der 1. FC Köln fest entschlossen, will mit aller Macht den Abstieg abwenden.
Um 15.30 Uhr ist Anstoß in der Voith-Arena, in der die Geißböcke in milchweißen Trikots auflaufen. Um 16.05 Uhr legt sich Kevin Sessa leichtfüßig den Ball an Effzeh-Kapitän Kainz vorbei, zieht von der Strafraumgrenze ab und trifft ins lange Ecke. Nach 36 Minuten liegt der 1. FC Köln mit 0:3 zurück. Sediert von der Angst vor dem Abstieg präsentiert sich die Mannschaft gegen den Ball, in der Defensivbewegung, desolat, von Zweikampfführung und Laufwegen kann keine Rede sein.
Um 17.22 Uhr, als es 4:1 für Heidenheim steht und der Abpfiff ertönt, ist der 1. FC Köln abgestiegen. Die Profis schleichen vor den mitgereisten Kölner Anhang, harren im Schamabstand auf dem Rasen aus, auf den die Kurve herunterpfeift.

»Wir sind Kölner«, haben die Fans zum Ende des Spiels in Richtung der Spieler auf dem Platz gesungen, »und ihr nicht!«