Liebe in Zeiten der Flut: Léa Seydoux, George MacKay

Jenseits von Raum und Zeit

Mit dem »Geilomobil« durch Österreich oder mit Léa Seydoux in die Zukunft?

Fünf Tipps für die Kölner Kinonächte

Take Aim at the Police Van

Seijun Suzuki war der größte Exzentriker des japanischen Kinos: Keiner erzählte wüstere Geschichten auf gestalterisch visionärere Art. Aber da sind wir mit »Take Aim at the Police Van« noch lange nicht; der Film ist ein Frühwerk des in den 80er Jahren einmal zum bestgekleideten Mann des Landes gewählten Schelms. 1960 war Suzuki noch damit beschäftigt, seinen Platz im Filmgeschäftzu finden.

»Take Aim at the Police Van« gehört zu einer Serie des Nikkatsu-Studios namens »Mukokuseki Action«, deren Werke inszenatorisch vor allem nicht-japanisch sein sollten und deswegen mit US-amerikanischen wie auch französischen Genremitteln spielten. Dementsprechend erinnert der Film nicht von ungefähr an diverse Film-noir-Klassiker, in denen ein Unschuldiger den Täter jagt, für dessen Verbrechen er mitverantwortlich gemacht wird. Nicht durchgeknallt also, aber formal virtuos — denn das war Suzuki von seinem ersten Film an.

Olaf Möller
Do 27.6., Japanisches Kulturinstitut, OmeU, 18:30 Uhr

 

Projekt Ballhausplatz

Ein Film, der durch das deprimierende Ergebnis der Europawahl sicher noch mal an Relevanz gewonnen hat, schaut er doch auf eine Regierung, die Rechtspopulismus in ein bürgerliches Gewand kleidete und damit große Erfolge an den Wahlurnen erzielte. Am Ballhausplatz in Wien liegt das österreichische Bundeskanzleramt. Hier residierte von 2017 bis 2021 mit kurzer Unterbrechung Sebastian Kurz als jüngster Staatschef Europas. Ob es bei seinem Aufstieg mit rechten Dingen zuging, ist zurzeit Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen.

Der Dokumentarfilm von Kurt Langbein schildert den Aufstieg und Fall des slicken ÖVP-Politikers anhand von Archivmaterial, Interviews und internen Textnachrichten von Kurz und seinen engsten Vertrauten. Aus ihnen spricht ein Geist, der wenig mit Demokratie zu tun hat und viel mit Machthunger und schockierender Skrupellosigkeit. Zum Symbol der filmischen Dekonstruktion des Aufsteigers Kurz wird ein Hummer-Geländewagen, der vor der Kamera zerlegt wird, ein Modell, das Kurz einst als »Geilomobil« im Wahlkampf diente. Auf das anschließende Gespräch mit Regisseur Kurt Langbein kann man gespannt sein. 

Sven von Reden
Do 27.6., Filmhaus, 20 Uhr

 

Die Liebe frisst das Leben

Tobias Gruben starb 1996 mit 33 Jahren an einer Überdosis Heroin. Bekannt wurde er vor allem als Sänger und Texter der Hamburger Band Die Erde, die etwas zu spät kam für Punk und New Wave und etwas zu früh für den Hype um die Hamburger Schule. Der Dokumentarfilm des Kölner Filmemachers Oliver Schwabe, der anwesend sein wird, berührt aber auch, wenn man von Gruben und seiner Musik nie gehört hat. Er zeichnet das Leben eines von seinem Auftrag besessenen Künstlers nach, der sich nichts mehr wünschte, als von seinem Vater Anerkennung zu erfahren. Mit seiner punkigen Musik und seinem Lebenswandel stieß er bei dem renommierten Professor auf Unverständnis und Ablehnung. Da es wenig audiovisuelles Archivmaterial von Gruben gibt, spielen im Film junge Bands wie Messer und Isolation Berlin dessen Songs.

Ebenfalls mit dabei ist der Leipziger Singer-Songwriter Timm Völker, der nach der Vorführung »Leben den Lebenden« von Die Erde im Filmhaus-Foyer spielen wird und Songs von seiner EP »Dieb für ein Lied«. Man kann sich freuen auf melancholische Popsongs mit sarkastischen Zeilen wie: »Deine Augen, ich will sie gar nicht sehen/Deine Brauen sagen schon genug über dich aus.«  

Sven von Reden
Fr 28.6., Filmhaus, 20 Uhr

 

The Beast

Über eine unglückliche Liebe an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten erzählt Bertrand Bonello (»Nocturama«) in seinem vergangenes Jahr in Venedig uraufgeführten Film. Oder sind es mehrere Lieben? Bonello verknüpft die dunkel-romantische Novelle »Das Tier im Dschungel« von Henry James mit einer Dystopie, in der Künstliche Intelligenz die Macht übernommen hat und Menschen in frühere Inkarnationen und Realitäten reisen, um Traumata auszulöschen.

Das Sci-Fi-Melodram spielt im vom Hochwasser bedrohten Paris des Jahres 1910, im kommunikationstechnisch gestörten Los Angeles von 2014 sowie in einem KI-kontrollierten Jahr 2044, in dem Menschen nur noch eine untergeordnete Rolle in der Arbeitswelt und im gesellschaftlichen Leben spielen. Gabrielle (Léa Seydoux) und Louis (George MacKay) begegnen sich als Liebespaar in verschiedenen Konstellationen, deren Liebe mal in der Flut unterzugehen droht, mal an der programmierten Emotionslosigkeit zu scheitern droht. Doch das wäre bereits ein zu eindeutiger Versuch des Verstehens in diesem elliptisch und visuell faszinierend inszenierten Trip, dessen Melancholie, multiplen Identitäten und Interpretationsschichten einen unwiderstehlichen Sog entfalten.

Thomas Abeltshauser
Sa 29.6., Filmhaus, OmeU, 20:30 Uhr

 

La Palisiada

Der Titel ist eine ukrainische Verballhornung des französischen Worts »lapalissade«, was man mit Binsenweisheit übersetzen könnte — eine offensichtliche Tatsache, die aber noch einmal ausgesprochen wird, ohne dass das irgendeinen Unterschied machen würde. In Philip Sotnychenko Langfilmdebüt passieren Dinge zweimal auf unterschiedliche Weise und meinen doch dasselbe: Liebende schießen aufeinander im Streit, der Staat exekutiert einen Verurteilten per Genickschuss, dazwischen liegen rund 25 Jahre Unabhängigkeit. In einer fabelhaft hingerotzten VHS-Ästhetik erzählt »La Palisiada« von einer Art Erbsünde der postsowjetischen Ukraine: dass sie nämlich Teile des alten Systems im neuen übernommen hat und dass kein klarer Bruch vollzogen wurde. Wenn die Ukraine heute gegen die russischen Invasoren kämpft, dann kämpft sie auch ein wenig gegen etwas, das immer noch in ihr steckt. Der mit Abstand faszi­nierendste, intellektuell stimulierendste und emotional verstörendste ukrainische Film seit sehr langer Zeit.

Olaf Möller
So 30.6., Filmforum im Museum Ludwig, OmeU, 20 Uhr

 

Kölner Kinonächte
Do 27.6.–So 30.6., verschiedene Orte.
Das Ticket kostet 18 Euro und gilt für alle Filme, soweit Plätze verfügbar sind. Weitere Infos: ­koelner-kino-naechte.de