Lass den Kanarienvogel singen
Dem Programm des Filmfestivals See the Sound ist nicht anzusehen, dass seine Macher zu Beginn des Jahres einen schweren Schlag zu verkraften hatten: Die Film- und Medienstiftung NRW hatte kurzfristig die Förderung gestrichen. »Wir sind davon kalt erwischt worden«, so der Programmverantwortliche Michael Aust. »Ohne Diskussion, ohne Vorbereitung, ohne Ankündigung haben wir Ende Februar erfahren, dass es kein Geld gibt; deshalb können in diesem Jahr auch nicht viele Gäste kommen.« Umso größer sei die Freude auf jene, die da sein werden — etwa der japanische Regisseur Yuji Moriwaki, der mit »Bring Minyo Back« im Wettbewerb ist, einem erhellenden Film über hierzulande weitgehend unbekannte japanische Folkmusik.
Vom 3. bis 7. Juli findet das Musikfilmfestival als Teil des Kongresses Soundtrack Cologne an verschiedenen Spielstätten statt. Gleich am ersten Abend gibt es einen Höhepunkt im Programm: Zu sieben Kurzfilmen von und um Frauen aus der Frühzeit des Films spielt das Ensemble Garage live. »Nasty Women — Freche Frauen im frühen Film«, so der Titel des Abends mit schwarzweißen Stummfilmen aus den Jahren 1906 bis 1927 zu den Klängen zeitgenössischer Komponistinnen wie der Österreicherin Brigitta Muntendorf oder der in Deutschland lebenden polnischen Komponistin Marta Kowalczuk.
Musikerinnen stehen auch im Mittelpunkt von Marita Stockers »Rock Chicks«, einem Dokumentarfilm, der Ohren und Augen für Pionierinnen des Rocks öffnet, etwa Rosetta Tharpe oder Wanda Jackson. Ohne sie, so legt es der Film nah, wäre Elvis nicht möglich gewesen. Und doch blieben diese Frauen lange Zeit Randfiguren in der Geschichte es Rock ’n’ Roll. Zu sehr haben sie die Männer verstört und in gender troubles gestürzt: Ist eine Frau mit einer elektrischen Gitarre überhaupt noch eine Frau? Einig sind sich alle Musikerinnen, wo der Gegner sitzt: in den Büros der Musikindustrie. Kristin Hersh von den Throwing Muses sagt, was die Herrschaften dort heute noch von Frauen verlangen würden: »Don’t play music, play product.« Dem hält sie entgegen: »I am not female to you!«
Wir zeigen, dass Musikdokumentarfilme gerade näher an die Gegenwart heranrücken. Es war lange nicht finanzierbar, Filme über aktuelle Musik zu machen«
Michael Aust
Der Song »Girls just want to have fun«, war 1983 Cindy Laupers hedonistisches Statement aus weiblicher Perspektive. Sie hatte den chauvinistischen Text des Songwriters Robert Hazard umgeschrieben und zu einem der größten Hits der 80er Jahre gemacht. Die amerikanische Sängerin steht im Zentrum von »Let the Canary Sing — Cindy Lauper«, der in den Lichtspielen Kalk zu sehen sein wird. »Wir zeigen in Kalk auch ›ZEF: The Story of Die Antwoord‹ über die populären südafrikanischen Rap-Raver, wir zeigen ›Feneen‹ über die HipHop-Szene im Senegal und ›Little Richard — I Am Everything‹, der die queere Geschichte des Rock ’n’ Roll in den 50ern verkörpert«, sagt Michael Aust. »Filme, die aus meiner Sicht sehr gut nach Kalk passen«.
Adressiert an eine andere Zielgruppe ist der unbedingt sehenswerte »Have You Got It?«. Die Geschichte von Pink-Floyd-Mastermind Syd Barrett, der nach exzessiven LSD-Konsum in geistiger Umnachtung verschwindet, wird nicht neu erzählt, aber sie gibt dem 2006 verstorbenen Künstler Gestalt und eine Vita. Mit Hilfe von teils bislang unveröffentlichten Bildern, Erinnerungen und Beschreibungen von seiner Familie, von Freundinnen, musikalischen Weggefährten und Zeitgenossen wird Barrett auf der Leinwand lebendig. Wie viel Zeit dieses Projekt in Anspruch genommen hat, zeigt sich daran, dass neben Roddy Bogawa auch Storm Thorgerson als Regisseur genannt wird — der kreative Kopf der legendären Grafikdesign-Agentur Hipgnosis starb bereits 2013.
Das Programm setzt aber nicht auf Nostalgie: »Wir zeigen, dass Musikdokumentarfilme gerade näher an die Gegenwart heranrücken«, sagt Aust. »Es war lange nicht finanzierbar, Filme über aktuelle Musik zu machen, aber jetzt geht es wieder los.« Gemeint sind Filme wie »Lil Nax X: Long live Montero« oder »Teaches of Peaches« über die in Berlin lebende kanadische Künstlerin.
Einer von Austs Favoriten ist der Animationsfilm »They Shot the Piano Player«, der die politisch motivierte Ermordung des Klaviervirtuosen Francisco Tenório Júnior im Jahre 1976 in Argentinien zum Thema hat. Was die Zukunft des Festivals angeht, gibt sich Aust optimistisch: »Wir werden Gespräche führen und sind zuversichtlich, wieder gefördert zu werden. Wir haben mit See the Sound in Europa ein Alleinstellungsmerkmal.«
Mi 3.7.–So 7.7., div. Orte.
Infos: seethesound.de