Entflohen in der Wüste: Rabii Benjhaile

Déserts von Faouzi Bensaïdi

Faouzi Bensaïdi lässt zwei Geldeintreiber zwischen Traum und Wirklichkeit durch die Wüste kreisen

Zu Beginn von »Déserts« wird eine Straßenkarte vom Winde verweht. Das ist in mehrfacher Hinsicht als ein Sinnbild zu verstehen. Es bietet zunächst einmal die implizite Erklärung, warum die Protagonisten Mehdi und Hamid in den folgenden zwei Stunden zumeist plan- und orientierungslos wirken, während sie im Auftrag eines windigen Inkassobüros säumige Schuldner in der marokkanischen Provinz zur Wiederaufnahme ihrer Ratenzahlungen drängen.

Das Abhandenkommen der Straßenkarte dient Regisseur und Drehbuchautor Faouzi Bensaïdi aber in einem weiteren Sinne auch als dramaturgisches Vorzeichen, um sich von der Verpflichtung zu stringentem, zielgerichtetem Erzählen zu entbinden. ­Jedenfalls reiht der 1967 in Marokko geborene Filmemacher in der ersten Hälfte vor allem skurrile Vignetten aneinander, deren räumliche Zusammenhänge so unbestimmt bleiben wie die zeitlichen.

Das ergibt nicht immer den schnoddrigen Charme, den etwa eine Szene erreicht, in der Bensaïdi selbst in der Rolle eines bankrotten Kleinhändlers auftritt, dessen Kiosk zerlegt wird. Redundanz ist aber womöglich die notwendige Bedingung dafür, dass sich in der herrlich eigenwilligen zweiten Hälfte Ziellosigkeit, Abschweifung und Im-Kreis-Gehen als eigentliche Themen dieses Films entpuppen können.

Dazu gehört, dass die Narration sich nun unvermittelt selbst verirrt, zwischen Traum und Wirklichkeit gerät, nachdem Mehdi und Hamid an einer Tankstelle einem entflohenen Sträfling begegnet sind. Wenn Bensaïdi, der auch für die Montage mitverantwortlich zeichnet, erhabene Panoramen schroffer Landschaft um Einstellungen immer näher kommender stummer Gesichter ergänzt, stellt sich die Frage, inwieweit diese grüblerischen Typen selbstbestimmt handeln — oder reine Hirngespinste sind.

Als noch einmal eine Landkarte im Bild erscheint, schematisch in den Wüstenstaub gekratzt, tritt ein moderner Odysseus auf, in Gestalt eines nach langer Irrfahrt aus Europa abgeschobenen Migranten. Deshalb ist es zauberhaft schlüssig, dass die Frauenfigur, um die — ganz unabhängig davon — eine zwischen Gangsterballade und Western changierende Nebenhandlung kreist, ihrerseits als Wiedergängerin der mythischen Penelope zu erkennen ist.

F/D/B/MA/Q 2024, R: Faouzi Bensaïdi, D: Fehd Benchemsi, Abdelhadi Talbi, Rabii Benjhaile, 120 Min. Start: 27.6.