Gelegentlich wichsen
Seit seinem Tod im Jahr 2012 ist die Kunst Mike Kelleys immer vom Ende aus betrachtet worden. Selbst dieser Text beginnt mit dem frühen Ableben des US-amerikanischen, 1954 bei Detroit geborenen Künstlers. Das mag
an dem Status Kelleys liegen, dessen Kunst als Inbegriff der Postmoderne gilt und der das Vergnügen hatte, von der Kunstkritik, Sammler*innen und Kolleg*innen gleichermaßen als Säulenheiliger betrachtet worden zu sein. Umso schockierender die Meldung seines überraschenden Tods Anfang Februar 2012: Nachrufe selbst in der Mainstream-Presse häuften sich, die Zeitschrift Texte zur Kunst widmete schon bald eine ganze Ausgabe dem vielfältigen, ausufernden, komischen Werk Kelleys, was einem Novum glich.
Wie es dazu gekommen ist, dass sich alle auf Kelley — ähnlich wie bei seinem deutschen Pendant Martin Kippenberger — einigen können? Gute Frage. Werfen wir einen Blick in die Retrospektive im Düsseldorfer K21, zugleich die erste seit zwölf Jahren. Was selbst jenen auffällt, die Kelleys Werk noch nicht kennen: Betritt man das Ständehaus und geht in das große Foyer, sieht man fast gar nichts von der Ausstellung. Wenn man genau hinhört, dann raschelt, schrammt und johlt es aus dem Untergeschoss hinauf. Doch visuelle Punkte wie Installationen, Bilder oder Skulpturen sucht man vergeblich. Das irritiert, war das Oeuvre Mike Kelleys stets auf Expansion ausgelegt, war es nachgerade überschäumend in seinen Ausdrucksweisen, auch in seinen krachigen-trashigen Qualitäten. Doch in Düsseldorf bleibt Kelley eingehegt im Keller, den man über die von Besucher*innen immer wieder als zu steil wahrgenommene — und damit wenig einladende — Treppe betritt.
Richtig obszön und vulgär wird es selten, auch wenn das K21 die Ausstellung selbst als »verstörend« bezeichnet
Unten angekommen wähnt man sich eher auf einem Rummelplatz, denn in einer Ausstellung, was wiederum gut zu Kelley passt. Geradeaus ist ein Video vom »Banana Man« direkt an einer Säule aufgestellt, dahinter schaut man bereits in den etwas steril anmutenden Stirnbereich der Ausstellung, der sich mit der unvollendeten Werkserie »Extracurricular Activity Projective Reconstruction« auseinandersetzt. Die Serie basiert auf High-School-Jahrbüchern, die Kelley gefunden oder auf Flohmärkten erworben hat. Die dort dokumentierten Inszenierungen von Schultheatern und -tänzen sollten in insgesamt 365 Videoarbeiten re-enactet (neu-aufgeführt) oder zum Anlass für alternative Erzählungen in Form von Musicals und anderen »trashigen« Formaten genommen werden. Ein überdimensioniertes Raketenmodell liegt quer auf drei Ständern und trägt einen gelben Umhang aus zusammengenähten Polyester-Kostümen, deren Ärmel links und rechts hinabhängen. »!Tonight! Gospel Rocket«, kündigt ein angrenzendes Billboard das Spektakel an.
Zu dem Spektakel gehören nachgestellte Fotografien, genauso wie der detailgetreue Nachbau von Bühnenbildern. Die Rakete ist eine dieser Requisiten. Das 2000 gestartete Projekt blieb aufgrund seines ambitionierten Umfangs unvollendet, doch Kelley hatte schon etliches Material angehäuft, heute werden die Kulissenteile selbst wieder zu Assemblagen verbunden. Ein spaßig anmutender Parkour aus kleineren und größeren Requisiten setzt den Ton für die Schau, für die der Begriff »Parkour« sehr passend ist. Die Textilbilder seiner »Half a Man«-Ära hängen dicht an dicht; daneben und dazwischen folgt ein Modell der »Educational Complex«-Reihe, dazu Erklärungen, Vitrinen und Installationen aus Kelleys ikonischen zusammengenähten Stofftieren. Nicht alles bunt, aber herrlich amüsant.
Insgesamt aber sehr kühl ist diese Vielzahl von Werken kuratiert. Korrespondenzen werden eher durch Nähe statt durch gedankliche Zusammenhänge hergestellt. So jedenfalls der Eindruck. Richtig obszön und vulgär — was zum Image Kelleys gehörte — wird es selten, obwohl das K21 die Ausstellung als »verstörend« bezeichnet. Wer aber soll verstört werden und warum? Es erschließt sich nicht. Nach queeren, freakigen, transgressiven Inhalten sucht man vergeblich. Der hier präsentierte Kelley ist ein wackerer Hetero-Nerd, der Comics liest, gelegentlich Schimpfworte nutzt oder sich einen wichst. Schade eigentlich, denn wie
man im Katalog nachlesen kann: Mike Kelley sprengte Grenzen — und war deswegen so bedeutend.
»Mike Kelley. Ghost and Spirit«, K 21, Ständehausstraße 1, 40217 Düsseldorf, bis 8.9.; Di–So 11–18 Uhr