Verkatert in Moskau: »Moscoviáda« von Juri Andruchowytsch, Foto: Patrik Borecky

Verschwörungsmythen bei Sonnenuntergang

Das Düsseldorfer asphalt Festival für freie Ensembles lohnt den Ausflug

Spätestens, wenn in Köln die Kulturorte schließen, die Stadt in jene seltsam schöne Sommerferienstarre fällt und wirkt wie ein großes Dorf, ist es Zeit für einen Ausflug nach Düsseldorf. Da findet zu Sommerferienbeginn traditionell das »asphalt Festival« statt — diesmal mit spannenden Theaterstücken, Performances, Konzerten, Ausstellungen, Lesungen, insgesamt 46 Veranstaltungen.

Gegründet wurde das Festival 2012 als »Ort der Kunst und Empathie« von Theaterregisseur Christof Seeger-Zurmühlen und dem Komponisten Bojan Vuletić und hat sich, stets wachsend, zu einer wichtigen Kulturplattform in NRW entwickelt. Seit der Pandemie hat es zwei Haupt-Theaterbühnen: die Schönste ist zweifellos die Seebühne mitten auf dem Schwanenspiegel, eine lauschige Oase in der Stadt. Die coolste ist das 34OST, ein ehemaliges Elektronik-Geschäft, das zum Kunst- und Kulturort geworden ist auf 2000 Quadratmeten (von solchen Spielflächen für die freie Szene können wir in Köln nur träumen). Hier steht auch das Festivalzentrum, eine Pop-up-Bar, an der man essen, trinken und chillen kann. Aber auch das Central am Hauptbahnhof wird mit größeren Produktionen bespielt — etwa »Skatepark« von Mette Ingvartsen, das im letzten Jahr schon die Ruhrtriennale rockte (19.-21. Juli).

Eröffnet wird das Festival von einer Uraufführung des Düsseldorfer Theaterkollektives »Pièrre.Vers«, das sich mit tiefgehenden Schürfungen zur Stadtgeschichte einen Namen gemacht hat und in NRW zu den spitzengeförderten Ensembles gehört. Im letzten Jahr beleuchteten sie mit »Dunkeldorf« den halbvergessenen Nazi-Anschlag von 2000 in der Stadt. Diesmal beschäftigen sie sich mit Verschwörungstheorien: In »Schaf sehen« von Juliane Hendes (3.-10.7.) wird die Geschichte von Johanna und ihrem Bruder erzählt, der sich in die wirren Welten der »alternativen Lebensideen« begeben hat. Wie spricht man mit jemandem, den man liebt, der aber nicht mehr mit Argumenten zu erreichen ist? Was passiert, wenn sich große Gesellschaftsteile aus dem demokratischen Diskurs verabschieden?

Vor der großen Premiere am Eröffnungstag (3.7.) hält die israelische Philosophin Eva Illouz (»Warum Liebe wehtut«) eine Rede mit dem Thema »Der 7. Oktober und die Grenzen der Kritik«. Eine spannende Uraufführung im OST34 ist auch der theatrale Schwimmkurs »Delphin oder Im Freibad meiner Gefühle« vom Bochumer Performancekollektiv »undBorisundSteffi« — in dem es um Peinlichkeit, Scheitern, Tabus und andere Komplexe geht und darum, wie wir sie liebend überwinden (7., 8.7.).

Gegründet als ›Ort der Kunst und Empathie‹ mit Seebühne und ­Kultur im Elektronik­geschäft

Doch nicht nur Lokales, sondern auch Internationales ist bei »Asphalt« zu sehen: etwa das gefeierte Theaterstück »Schwarze Morgenröte« von Aurora Negra aus Portugal (11.7.). Die drei Performerinnen Cleo Diára, Isabél Zuaa und Nádia Yracema aus Lissabon haben Wurzeln auf Kap Verde, in Angola und Guinea-Bissau. Sie erzählen vom Leben als schwarze Künstlerinnen in Europa, von Migration und Rassismus — voller Humor und Ironie. Ein Abend, der laut Kritik, glücklich macht. Besonders spannend ist auch das preisgekrönte Gastspiel aus Teheran, Iran, wo es momentan nicht gezeigt werden kann. Dafür feierte es Erfolge auf vielen europäischen Festivals: die junge iranische Theatermacherin Parnia Shams hat vor fünf Jahren das Stück » است (Ist)« entwickelt, zusammen mit Schauspielstudentinnen der Sooreh Universität in Teheran. Alle brachten ihre persönlichen Erfahrungen mit ein. »Ist« spielt im Klassenzimmer einer privaten Mädchenschule, es handelt von Intrigen und Mobbing und dem immensen Druck in der persischen Gesellschaft (12.7.).

Israel wiederum ist im Stück »Mitzi’s Mensch« des Puppenspielers Ariel Doron vertreten, ein »Live-Gedankenexperiment«, bei dem man mehr über die Verbindung von Menschen und Tieren erfährt — und über die berühmte Versuchsanordnung von »Schrödingers Katze« (19.–21.7.). Ein anderer internationaler Schwerpunkt des Festivals liegt diesmal auf Osteuropa und der Ukraine: »Moscoviáda« nach dem Roman des ukrainischen Autors Juri ­Andruchowytsch vom Prager ­Kollektiv Divadlo X10 erzählt von einem Dichter, der verkatert in ­einem zerfallenden Moskau aufwacht und in die Gewalt des Geheimdiensts gerät, die in der Unterwelt Rattenheere züchten und grausige Großmachtsfantasien spinnen (13.7.).

Gerade weil Düsseldorf sich im Gegensatz zu diesen realistischen Prophezeiungen in diesen Festivaltagen von der lieblichsten Sommerfrischen-Seite zeigt, kann ein Besuch beim »Asphalt« ernsthaft empfohlen werden.

3.-21.7., Düsseldorf, asphalt-festival.de