Incel-Seminar im Wald
Der Hamburger Autor Tobias Ginsburg ist dabei, als sich eine Gruppe unauffälliger, berufstätiger Männer im Wald trifft. Sie sind verquere, rechte Ideologen, vereint durch das Leiden unter einer ihrer Ansicht nach immer mehr vor die Hunde gehenden Gesellschaft, in der Männer nicht mehr so viel zählen wie früher und sich alles um Frauen und ihre Interessen dreht. Man stützt sich gegenseitig, führt Ertüchtigungsübungen durch und lauscht pseudowissenschaftlichen Präsentationen, die von Gewalt gegen Männern schwadroniert.
»Die letzten Männer des Westens«: Was Hausregisseur Rafael Sanchez im Depot 2 auf die Bühne bringt, basiert auf Ginsburgs gleichnamigem Buch (Rowohlt Verlag, 2021) über seine Undercover-Arbeit in dieser rechten Szene. Das Stück, das auch Video-Botschaften von Ginsberg bringt, gibt Einblicke in die Denk- und Argumentationsmuster in den Subkulturen, aus denen rechte Parteien und Politiker heute Unterstützung beziehen.
So sei der Feminismus an der sinkenden Geburtenrate schuld und verweichlichte deutsche Männer würden durch harte Immigranten ersetzt. In Polen, auch dahin führen die Recherchen, arbeitet die russisch mitfinanzierte, ultra-konservative Organisation Ordo Iuris an einer Durchdringung der Gesellschaft und bereitet den Boden für den nächsten Wahlsieg der PiS-Partei. Die Tatsachenberichte zeigen auf, wie sich ein paar Unzufriedenheiten unter äußeren Einwirkungen zu einem antifeministischen Männlichkeitswahn auswachsen können, der politisch destabilisiert und autoritären Figuren wie Trump und Putin in die Hände spielt.
Die Strippenzieher sind im Hintergrund miteinander vernetzt. Vieles sieht erstmal harmlos aus oder wird verharmlost. »Es muss halt manchmal einfach raus.« Niemand sieht sich hier als Nazi oder Faschist, sogar die schrille »Straight Pride Parade« in Boston ist für viele in erster Linie ein Spaß. Man ahnt, dass im Publikum des Schauspiel Köln nicht jede Äußerung auf dieselbe Ablehnung stößt, eben weil man sich an politisch-ideologischen Übergangsstellen befindet.
Die Inszenierung von Hausregisseur Rafael Sanchez ist kein reines Dokumentar-Theater, sondern eine Lokomotive ohne Bremse und vor allem eine große, wohlkoordinierte Ensemble-Leistung mit starken Soli. Das große Fresko realer Persönlichkeiten wird durch dezente Überzeichnung umso lebendiger.
Schauspiel Köln, Depot 2, Wiederaufnahme geplant