Der »Fall Knudsen«: Historiker Jan Lazardzig, Foto: Lorenz Becker

»Braune Universität«

Der Historiker Jan Lazardzig rollt den »Fall Knudsen« auf — und warnt vor der Gefahr antimoderner Diskurse von Bildungseliten

Er habe »gegen Hitler gelebt«, nicht etwa in der Schweiz oder in Amerika — sondern in Berlin, wo es viel schwieriger gewesen sei, schrieb Hans Knudsen (1886–1971) in einer siebenseitigen Stellungnahme. Darin rechtfertigte sich der Theaterwissenschaftler und Gründungsprofessor der Freien Universität Berlin gegen die Vorwürfe, die in der Dokumenationsreihe »Braune Universität« (1966) gegen ihn erhoben wurden. Mit skandalöser Kontinuität hatte Knudsen seine Karriere nach der NS-Zeit fortgesetzt. Doch von vorne.

Die »Anatomie einer Karriere« will der Historiker Jan Lazardzig in seinem gut lesbaren, spannenden Buch »Wissenschaft aus Gefolgschaft« nachzeichnen — einer Karriere, die Hans Knudsen als Assistent des Berliner Germanisten Max Herrmann begann, der in den 1920er Jahren in Berlin das erste Theaterwissenschaftliche Institut gründete. Doch während Herrmann als Jude aus der Universität gedrängt und 1942 in ­Theresienstadt ermordet wurde, belohnte der NS-Kulturapparat Knudsen zwei Jahre später für sein Andienen mit einer sogenannten Führer-Professur für Theaterwissenschaft.

Lazardzig, heute selbst Professor für Theaterwissenschaft an der FU Berlin, beleuchtet diese Karriere, die »Persilschein-Kultur« — und die Rolle von Fleiß und Treue im antimodernen Identitätsdiskurs von Bildungseliten, auch nach 1945. Denn wie so oft gewann auch der »Fall Knudsen« öffentlich erst an Kontur, als sich der deutsch-polnische Historiker, Widerstandskämpfer und Auschwitz-Überlende Joseph Wulf entgegen dem gesellschaftlichen Mythos von den wenigen Einzeltäter*innen auch Mitläufertum und Komplizenschaft im NS zuwendete. Angesichts des Wirkens von Knudsen und dessen rasch vollzogener Hinwendung zum Nationalsozialismus sah sich Wulf bestätigt, dass 1933 »Opportunismus und ‚Verrat’« die »vorherrschende ­politische Haltung« unter Intellektuellen und Künstler*innen war.

Knudsen selbst behauptete seine innere Distanz zum NS-Staat: Seine Parteimitgliedschaft sei reine Tarnung gewesen, seine antinazistische Gesinnung auch international bekannt (er behauptete sogar vom Hitler-Attentat 1944 gewusst zu haben) und berief sich auf den Befehlsnotstand als Beamter: »Vielleicht werfen Sie mir auch noch vor, dass ich Hitler-Briefmarken verwendet habe? (Ich habe sie allerdings ­verkehrt herum geklebt, bis ich verwarnt wurde.)«

Jan Lazardzig: »Wissenschaft aus Gefolgschaft. Der Fall Knudsen und die Anfänge der Theaterwissenschaft«, Verbrecher Verlag 2023, 312 Seiten, 28 Euro