Was haben meine Eltern damals gemacht? Tobi Dahmen

Triefend von Propaganda

Tobi Dahmen zeichnet in »Columbusstraße«, was seine Familie im NS gemacht hat

»Ich bedaure sehr, dass ich meinen Vater nicht noch mehr fragen kann. Sein Tod war es, der mich dazu veranlasst hat, diese Geschichten nicht nur aufzubewahren, sondern zeichnen zu wollen«, erzählt Tobi Dahmen in einem Interview über seine Graphic Novel »Columbusstraße«. Wie im 2015 erschienenen »Fahrradmod« steht ein autobiografischer Blick auf die Vergangenheit im Zentrum.  

In »Fahrradmod« hat Dahmen von den musikalischen Subkulturen der 80er Jahre erzählt und den Protagonisten beim Erwachsenwerden begleitet, vom ersten Kuss, euphorischen Partys, enttäuschenden Freundschaften bis zum Wegzug aus Wesel. In »Columbusstraße« geht der Blick weiter in die deutsche Vergangenheit zurück, taucht tiefer in die Familiengeschichte ein, tief in das Schweigen der deutschen Nachkriegsgesellschaft über die Zeit des Nationalsozialismus: »Im Grunde wurde in unserer Familie geschwiegen, wie in den meisten anderen deutschen Familien, die den Krieg miterlebt haben, auch. Aber vor allem von den Verantwortlichen, den Mitläufern und Tätern.« Dies geht einher mit dem Wegschauen während der Jahre von 1933 bis 1945, das Dahmen in »Columbusstraße« dokumentiert: Jüdische Nachbarn verschwinden, Zwangsarbeiter:innen werden zum Räumen der Trümmer nach den Bombenangriffen auf Düsseldorf eingesetzt, wo die Graphic Novel großteils angesiedelt ist. Die Mehrheitsgesellschaft will von diesen Leid nichts wissen und betrauert sich stattdessen selbst.

Dahmen rekonstruiert anhand von Briefen, Fotos und anderen Dokumenten auf mehr als 500 Seiten die Geschichte seiner Eltern, die beide Anfang der 1930er Jahre geboren wurden und ihre Kindheit unter dem Nationalsozialismus verbracht haben. Vor allem die beiden älteren Brüder seines Vaters, Peter und Eberhard, stehen im Fokus, ihre Briefe von der Kriegsfront triefen vor Propaganda: »Die Russen sind doch ein Barbarenvolk in höchster Potenz«, heißt es dort etwa. Dahmen kontrastiert den Inhalt der Briefe mit Comic-Bildern, in denen die Gräuel der Wehrmacht in Osteuropa abgebildet werden. »Die Briefe meiner Onkels sprechen ebenfalls eine deutliche Sprache. Sie haben Schreckliches erlebt und sie hätten sicherlich lieber was anderes mit ihrem Leben angefangen, aber gleichzeitig sind sie beide nach Jahren der Indoktrination freiwillig in einen Vernichtungskrieg gezogen, in dem Millionen Menschen umgebracht wurden«, erklärt Dahmen im Gespräch. »Und daran haben sie mitgewirkt, genauso wie die Menschen, die dieses System zuhause unterstützt haben, ein System, dem es immer nur um den Krieg und Vernichtung ging.«

Tobi Dahmen: »Columbusstraße«, Carlsen Comics, 528 Seiten, 40 Euro