Neue Perspektive
Gustav Nachtigal war eine wichtige Figur der deutschen Kolonialgeschichte. 1884 wurde er Reichskommissar für Westafrika, wo er deutsche »Erwerbungen« absichern sollte. Er tat das mit einer Drohkulisse aus Kanonenbooten und einer Geiselnahme. Ihm zu Ehren haben die Nazis 1934 eine Straße im »Afrika-Viertel« in Nippes nach ihm benannt.
»Die Gustav-Nachtigal-Straße steht für den Zusammenhang zwischen Nationalsozialismus und Kolonialrevisionismus«, sagt die Afrikanistin Marianne Bechhaus-Gerst. Im Auftrag des Liegenschaftsamtes hat sie Gutachten für mehrere Straßen im Kölner Stadtgebiet erstellt, deren Namen einen Bezug zur Kolonialherrschaft oder zum Nationalsozialismus haben. Im Fall der Gustav-Nachtigal-Straße ist ihr Urteil eindeutig: Sie empfiehlt, die Straße umzubenennen.
Schon in den 90er Jahren wurden in Nippes Straßen neu benannt, die zuvor den Namen der Kolonialverbrecher Carl Peters und Adolf Lüderitz trugen. Die Nachtigal-Straße wurde damals ausgespart. »Nachtigal hatte lange den Ruf eines ›Afrikaforschers‹«, erzählt Bechhaus-Gerst, »dabei hat er die Verträge von Lüderitz legitimiert.« Lüderitz hatte sich 1883 Land im heutigen Namibia angeeignet, indem er mit dem Orlam-Führer Josef Frederiks einen Vertrag abschloss. Frederiks ging aber davon aus, dass diesem Vertrag die englischen Meilen (ca. 1,6 km) zugrunde liegen, Lüderitz meinte aber die preußischen Meilen (7,5 km). Nachtigal wusste von dem Betrug, als er den Vertrag beglaubigte.
Mittlerweile scheint sich das Bild von Nachtigal in der Öffentlichkeit zu wandeln. Die Bezirksvertretung Nippes, in der ein Bündnis aus Grünen, Linken, FDP, Gut und Klimafreunden die Mehrheit der Stimmen hinter sich versammelt, begrüßt den Vorschlag. »Wir haben schon in einer Kooperationsvereinbarung die Umbenennung der Straße festgelegt«, sagt Bezirksbürgermeisterin Diana Siebert. Sie will nun die Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung abwarten. Diese fand im Juli statt, bis zum September sollen die Ergebnisse vorliegen. »Wenn die Mehrheit für die Umbenennung ist, werden wir das Verfahren fortführen«, sagt Siebert.
Obwohl es auch Stimmen im Viertel gibt, die eine Umbenennung kritisch sehen, geht Siebert von einem positiven Ergebnis aus. Rückenwind erhält sie aus Ehrenfeld. Dort sprachen sich deutliche Mehrheiten für die Umbenennung der Wißmann- und der Gravenreuthstraße aus. Aber auch falls das Ergebnis in Nippes anders ausfällt, will Siebert mit der Umbenennung fortfahren. »Das Umfrageergebnis ist nicht bindend«, sagt sie. In dem Fall wünscht sie sich, dass auch die SPD-Fraktion der Umbenennung zustimmen würde.
Die Nippeser SPD engagiert sich schon jetzt im Initiativkreis Erinnerungsort Afrika-Viertel, der sich für einen Gedenkort an einem kleinen Platz im Viertel einsetzt. Dieser soll »das Bewusstsein für und die Kritikfähigkeit an neokolonialem und rassistischem Denken und Handeln« stärken. »Den Gedenkort werden wir unabhängig von der Umbenennung umsetzen«, sagt Diana Siebert. Bis Anfang August können dafür noch Vorschläge beim Initiativkreis eingereicht werden.
Auch ein möglicher neuer Name der Gustav-Nachtigal-Straße soll einen historischen Bezug zum Afrika-Viertel haben. »Dazu würden Vorschläge aus der Bevölkerung gesammelt werden«, sagt Diana Siebert. Sie könnte sich Rudolf Manga Bell, einen Widerstandskämpfer im kolonialen Kamerun, als Namensgeber vorstellen. »Das Gremium Postkoloniales Köln hat eine Liste mit möglichen Namensgeber:innen erarbeitet«, sagt Marianne Bechhaus-Gerst. »Wir wollen nicht die Geschichte auslöschen, sondern die Perspektive ändern«