Zwei-Klassen-Kita-Gesellschaft
Je höher der Anteil von Kindern aus belasteten Elternhäusern, umso größer die Kita, umso dünner ihre Personaldecke, umso schlechter ihre Ausstattung. Und umso weniger Raum und Fördermöglichkeiten für das einzelne Kind. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die Anfang Juli in Zusammenarbeit mit dem Institut für Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit veröffentlicht wurde. »Kitas 2. Klasse?« heißt sie und fragt nach den Mehrfachbelastungen von Kindertagesstätten mit Kindern »aus sozioökonomisch benachteiligten Familien«. Die Ergebnisse sind erschreckend deutlich.
Florian Dähne, Referent für Bildungspolitik in der Friedrich-Ebert-Stiftung, kennt die Allgemeinplätze, auf die die Politik verweist: die Kita als erster gemeinsamer Bildungsort, der allen Kindern, unabhängig von ihrem familiären Hintergrund, gleiche Bildungschancen bieten soll. Doch die Realität sähe anders aus, sagt Dähne. Nicht, weil in manchen Kitas schlechter oder weniger engagiert gearbeitet würde, sondern weil sich die Rahmenbedingungen unterscheiden. »Und zwar nicht so, wie es aus Sicht der Chancengleichheit Sinn machen würde, sondern eben gerade umgekehrt.«
Wir haben eine Ungleichheit im System, die benachteiligte Kinder weiter benachteiligtNiels Espenhorst, Paritätischer Gesamtverband
Das Problem beginnt oft schon dabei, überhaupt einen Betreuungsplatz zu bekommen: Eltern mit höherem Einkommen und höherem Bildungsabschluss, so die Studie, setzen sich bei den oft intransparenten Vergabeverfahren für einen Kita-Platz eher durch. Auch Niels Espenhorst, Referent Kindertagesbetreuung des Paritätischen Gesamtverbands, kennt die Situation und auch ähnliche Ergebnisse aus dem Kita-Bericht 2024. »Wir haben eine Ungleichheit im System, die benachteiligte Kinder weiter benachteiligt.« Espenhorst fordert eine Art Sozial-Index, wie er in Ansätzen bisher erst in Hamburg und Sachsen umgesetzt wird, im Schulbereich aber seit längerem üblich ist: Er soll eine am einzelnen Kind orientierte Kombination aus Faktoren wie Armut, Migration, Gesundheit und familiäre Belastung messen, aus dem sich Bedarfe und Ressourcen ableiten lassen.
Noch mehr Bürokratie für Kita-Leitungen also? Bereits jetzt wird kritisiert, dass das KiTa-Qualitätsgesetz die Situation häufig nur verschärfe, weil Mitarbeitende in den Einrichtungen mehr bürokratischen Aufwand durch das Gesetz hätten und sogar Strafgeldzahlungen anstehen, wenn der Personalschlüssel nicht gedeckt ist. Aus diesem Grund machen Kindergärten häufig zu, wenn die Personaldecke zu dünn ist — oder sie betreuen im Akkord.
»In der Bundespolitik wird häufig darauf verwiesen, dass Länder oder Kommunen zuständig seien«, sagt Erik von Malottki (SPD), stellvertretender Sprecher für Familie, Frauen, Senioren und Jugend im Bundestag. »Ich halte das für falsch«. Er fordert unter anderem Profilfachstellen an den Kindertagesstätten, die genaue Ressourcen ermitteln und sich um die Antragstellung kümmern, also etwa Angebote zur Sprachförderung oder Fortbildungen für Erzieher*innen. Von Malottki sagt: »Wir befinden uns aktuell in einem Teufelskreis, aus dem wir ausbrechen müssen: Viele sagen, die Qualität sei schlecht, weil das Personal fehlt.« Aber das fehle auch, weil die Belastung gerade in den Kitas, in denen der Förderbedarf hoch ist, auf Dauer so enorm sei.
»Ungleiches ungleich behandeln ist ein Schlüssel für den Abbau von Bildungsbenachteiligung. Das gilt für Kitas wie für Schulen«, heißt es im Vorwort der Studie der Friederich-Ebert-Stiftung. Und die Macher*innen der Studie mahnen die Auswirkungen an, sollte sich nichts ändern: eine Bildungsungerechtigkeit, die sich fortsetzt, erst in den Grundschulen und später in der Ausbildung, gerade für Kinder, die ohnehin belasteter sind.