Vom Laufsteg vor die Kamera: Siran Riak

Filmen gegen den Hass

Kurz vor dem Beginn des Bürgerkrieges im Sudan entstand der Spielfilm »Goodbye Julia« in Khartum, der Kölner ­Michael Henrichs hat ihn koproduziert

Seit der Unabhängigkeit Sudans im Jahr 1956 wurde dort die längste Zeit in der ein oder anderen Form Krieg geführt — oftmals entlang der tiefen, von Rassismus geprägten Gräben zwischen der arabischstämmigen muslimischen Bevölkerung des Nordens und den schwarzafrikanischen christlichen Volksgruppen des Südens. Gräben, die das Land 2011 mit der Abspaltung des Südsudans buchstäblich entzweiten. Nach einer Zeit des Umbruchs ab 2019 brach 2023 erneut ein brutaler Krieg aus, dieses Mal zwischen rivalisierenden Streitkräften. Die Zivilbevölkerung erleidet dabei wieder einmal schlimmste Verbrechen und Entbehrungen, Millionen sehen sich zur Flucht gezwungen — ­weitgehend unbeachtet von einer Weltöffentlichkeit, deren Aufmerksamkeit mit den Kriegen in Gaza und der Ukraine vollauf in Beschlag genommen scheint.

Aber selbst in einem Land mit derart unruhiger Geschichte gibt es eine Zivilgesellschaft, aus der sich in der Zeit der relativen Ruhe zarte Ansätze einer Filmkultur zu entwickeln begannen. Größere internationale Aufmerksamkeit erhielt diese erstmals durch »You Will Die at Twenty« von Amjad Abu Alala, der 2019 bei den Filmfestspielen in Venedig seine Premiere feierte und einen Preis für den besten Debütfilm gewann. Jüngstes Beispiel ist nun »Goodbye Julia« von Mohamed Kordofani, der zuvor als Luftfahrtingenieur beschäftigt war. Das Drama erzählt von zwei Frauen aus verschiedenen Schichten und Volksgruppen, deren Wege sich durch einen tragischen Schicksalsschlag kreuzen. In ihrer Beziehung spiegeln sich ebenjene Gräben wider, die das Land nicht zur Ruhe kommen lassen. Damit hat Kordofani im letzten Jahr bei den Filmfestspielen von Cannes die Jury der Sektion Un Certain Regard überzeugt, die dem Film einen Preis verlieh. Neben weiteren Auszeichnungen und der ­Anerkennung der internationalen Kritik feierte »Goodbye Julia« auch in verschiedenen arabischsprachigen Ländern Erfolge an der Kinokasse.

Als internationaler Koproduzent war — wie schon bei »You Will Die at Twenty« — der Kölner Michael Henrichs mit seiner Firma Die Gesellschaft DGS an »Goodbye Julia« beteiligt. »Wer in einem Land mit geringer eigener Infrastruktur wie dem Sudan Filme machen will, muss sich international vernetzen«, sagt Henrichs. »Wenn man sich mit diesen Filmemachern auseinandersetzt, merkt man, dass es Leute mit einer unglaublichen Energie sind.« Nach seinem eigenen Erfolg hatte Amjad Abu Alala die Produktion von Mohamed Kordofanis Filmprojekt übernommen und diesen auch Henrichs vorgestellt. »Anstatt die eigene Karriere voranzutreiben, wollte Amjad auch anderen das Tor öffnen, das fand ich toll«, erzählt Henrichs. Er entschied sich auch bei Kordofanis Projekt mitzuwirken, weil ihn Talent und Stoff überzeugten: »Bei einem Erstlingsfilm muss man an beides glauben. Mohameds Talent war offenkundig und das Drehbuch hat eine allgemeingültige Zugänglichkeit, ist aber zugleich ungewöhnlich und einzigartig. Das hat mich sehr gereizt.«

Mohameds Talent war offenkundig und das Drehbuch hat eine allgemeingültige Zugänglichkeit, ist aber zugleich ungewöhnlich und einzig­artig. Das hat mich sehr gereizt

Der Dreh in einem von Instabilität geprägten Land brachte spezielle Herausforderungen mit sich. »Am ersten Drehtag von ›You Will Die at Twenty‹ 2019 brach die Revolution gegen den damaligen Präsidenten Umar Al-Baschir aus, die Parteizentrale brannte«, erinnert sich Henrichs. Bis auf eine Handvoll TV-Formate und Werbung waren bis dahin noch kaum Bewegtbilder im Sudan produziert worden — Strukturen, auf die sie hätten zugreifen können, gab es nicht. »Wir mussten damals sämtliches Filmgerät importieren«, so Henrichs. Zwischen seinen beiden Produktionen habe aber eine Aufbruchsstimmung in der überschaubaren sudanesischen Filmszene geherrscht: »Es hatten sich kleine Firmen gegründet, die an unterschiedlichen Formaten arbeiteten, wirklich tolle Ansätze.«

Zurzeit der Dreharbeiten zu »Goodbye Julia« war die Lage in der Hauptstadt Khartum von einem unruhigen Schwebezustand geprägt. »Der Militärrat und zivile Gruppen verhandelten über einen Weg hin zu einer stabilen Regierung«, sagt Henrichs, »das wurde von wöchentlichen Demonstrationen begleitet, die den Druck auf die Verhandlungen aufrechterhalten sollten«. Sperrungen von Straßen und den Nil-Brücken waren dabei an der Tagesordnung. »Wir haben darauf reagiert, indem wir alles sehr eng in einem Stadtteil zusammengezogen haben. Alle Beteiligten und das Equipment mussten so untergebracht sein, dass wir auch unter schweren Bedingungen weiterarbeiten konnten.« Trotzdem habe der Dreh oft unterbrochen werden müssen, wenn etwa Schwaden von Tränengas durch die Straßen zogen. Auch das Ringen um Drehgenehmigungen sah anders aus als hierzulande. »Ich glaube, es war der erste Film, der überhaupt in Khartum gedreht wurde. Wir mussten erstmal herausfinden, wer der richtige Ansprechpartner war«, sagt Henrichs. »Es ist alles weniger formalisiert und läuft viel mehr über Privatleute. Die Aufgabe des Aufnahmeleiters sieht dort jedenfalls völlig anders aus«, so Henrich. Regisseur Kordofani hatte die Schauspieler*innen derweil intensiv auf die Dreharbeiten vorbereitet. Die beiden Hauptdarstellerinnen standen zum ersten Mal vor einer Film­kamera. »Sirian Riak, die die Julia spielt, hatte allerdings zuvor schon als Model gearbeitet, und die Darstellerin der Mona, Eiman Yousif, ist wie im Film Sängerin«, erzählt Henrichs. »Sie hatten beide Erfahrungen, an denen sie ansetzen konnten.«

Der Triumph in Cannes hatte für Kordofani und seine Crew eine bittere Note — während sie auf der Bühne standen, um ihren Preis entgegenzunehmen, herrschte in ihrer Heimat bereits seit einem Monat Krieg. »Und man steht da und zeigt seinen Film, der eigentlich Versöhnung thematisieren soll«, erinnert sich Henrichs. Heute ist Khartum, das zuvor gut ein Fünftel der Bevölkerung des Sudans beherbergte, weitgehend zerstört und entvölkert. Henrichs Wissen nach haben alle an »Goodbye Julia« beteiligten Personen inzwischen das Land verlassen. Natürlich würden Filmemacher wie Kordofani und Alala auch in der Diaspora Projekte verwirklichen können, meint er: »Die Frage ist, ob sie zurückkehren und den Faden wieder aufnehmen können, oder ob es neue Talente sein werden, wenn es einmal wieder möglich sein sollte, in Khartum zu drehen.