Repräsentiert sich am besten selbst: Chocolate Remix

Fluide im Widerstand

Mit Chocolate Remix codiert Romina Bernardo das machistische Genre Reggaeton um

Als Romina Bernardo vor gut zehn Jahren begann, unter dem Label  Chocolate Remix Tracks zu produzieren, hatte die Argentinierin noch keine Ahnung, wohin sie das Hobby führen sollte. Heute ist die charismatische Musikerin auf wiederholter Europatournee, um ihr drittes Album »MINGA« zu präsentieren. Wir haben sie in Berlin zum Plausch getroffen.

Ausgerechnet das von sexistischen Phrasen durchzogene Reggaeton-Genre hat sich Chocolate Remix zu eigen gemacht. Mit ­ihren Texten, die mit Humor und Satire über queere Sexualität sprechen, hat die Musikerin es ­allerdings geschafft, das Genre auf den Kopf zu stellen und es ­sogar als feministisches Sprachrohr zu nutzen.

Dabei ist Romina Bernardo in ­Argentinien eigentlich gar nicht mit dieser Musik aufgewachsen. Während sie in den Teenagerjahren noch klassische Gitarre lernte, sich mit Folk und Rock beschäftigte (was es in der dörflichen Heimat im Nordwesten Argentiniens eben so gab), verlagerte sich das Interesse bald schon Richtung Dance Music. Rap, Dancehall und besonders der rhythmische Cumbia-Stil aus Kolumbien rückten in den Fokus. Reggaeton selbst habe es erst 2004 mit Daddy Yankees Überhit »Gasolina« nach Argentinien geschafft, erzählt sie.

Als 2017 dann ihr erstes Album »Sátira« erschien, wurde ihr plötzlich klar, dass sich etwas verändert hatte. »Ich musste professioneller werden, es war nicht mehr nur ein Hobby. Ich hatte Konzerte und Live-Shows zu choreographieren und wollte auch das Produzieren ernster nehmen.« Denn die Wechselwirkung von Musik und Tanz ist Chocolate Remix besonders wichtig. Sie schöpft die multimedialen Aspekte ihrer Arbeit voll aus und dirigiert die Tänzerinnen in ihren Videos selbst, um die Message ihrer Texte zu unterstützen. In denen geht es eigentlich immer um (queere) Sexualität, das sei ihre eigene Perspektive. »Ich habe mich umgeschaut und einfach keine passende Repräsentation meines eigenen Sexuallebens finden können.« Alles in der Kulturlandschaft abgebildete sei mehr oder weniger heteronormativ geprägt. »Es hat sich also weniger wie eine Entscheidung angefühlt, anstatt etwas, das ich einfach tun musste. In der westlichen Welt haben wir keine wirklich gute Beziehung zur Sexualität.«

In der westlichen Welt haben wir keine wirklich gute Beziehung zur Sexualität
Romina Bernardo

Reggaeton habe sich auch deshalb angeboten, weil es thematisch eigentlich immer sexuell aufgeladen sei, ähnlich wie Folkmusik etwa mit Themen wie Heimatliebe oder Naturverbundenheit. Natürlich habe sie sich anfangs gefragt, wie wohl ihre Eltern darauf reagieren würden. Doch diese haben sich mittlerweile unterstützend gezeigt. Ihr sei es wichtig, eine einfache Sprache zu wählen, die einen populistischen Ansatz verfolge, der auch generationenübergreifend und außerhalb ihrer queeren Blasen verstanden werden kann.

So handelt der Track »Ey Maricón« (übersetzt soviel wie »Hey Schwuchtel«) von Diskriminierung gegenüber gender-fluider Selbstdarstellung. Gleichzeitig nimmt der Videoclip satirisch die Verwirrung der älteren Generation auf und zeigt, wie mit Humor und Verständnis dennoch eine Brücke geschlagen werden kann. So ist Chocolate Remix zwar feministisch und immer dezidiert politisch, aber doch an Verständigung interessiert.

Für sie stehe die feministische Perspektive auch als ­genereller Sammelbegriff für das Streben nach Gleichberechtigung. Es gehe darum, Faschismus und Unterdrückung in keiner Form zu akzeptieren, egal ob aufgrund von Geschlecht, sexueller Orientierung oder aber eine Regierung: »MINGA« setzt sich mit der instabilen politischen Situation in ­Argentinien auseinander. Dort ­haben im November die Rechtspopulisten gewonnen. »Ich arbeite immer mit der Realität; das ist ein Dialog mit dem, was im Kontext geschieht. Deshalb wurde auch vieles auf dem Album erst mit den Wahlergebnissen entschieden.«

So hätten nach der Hyperin­flation in Argentinien viele die Rechten gewählt, einfach in der Hoffnung, wieder mehr Geld zur Verfügung zu haben. Dies sei in den 1990ern mit dem Versprechen, den Peso dem Dollar anzugleichen, schon mal versucht ­worden, aber quasi über Nacht ­gescheitert. Ihre Musik nimmt dieses Thema in Texten, aber auch mit bestimmten in dieser Zeit ­populären Rhythmen wieder auf.

Sie ist schon gespannt, nach dem Sommer in ihre Heimat zurückzukehren, um dort aktuelle Geschehnisse in ihrer nächstes ­Album einfließen zu lassen. Bis dahin steht allerdings noch die zweite Hälfte ihrer Europatournee an, bei der sie »MINGA« als Show samt Tänzerinnen im Gebäude 9 in Köln präsentieren wird.

stadtrevue präsentiert
Konzert: Sa 17.8, Gebäude 9, 20 Uhr