Vor Anspannung vibrieren: Mdou Moctar, © Ebru Yildiz

Metall, das in der Sonne schmilzt

Mdou Moctar treibt den Wüstenrock auf die Spitze

Die Live-Sessions von KEXP, des in Seattle ansässigen Radiosenders, haben längst die Nachfolge der legendären Peel-Sessions der BBC angetreten. Wer eine Band von ­ihrer Schokoladenseite kennenlernen will, steuere auf Youtube ihre KEXP-Session an. Konkret gesprochen: Was da Gitarrist und Sänger Mdou Moctar mit seiner Band am 26. August 2022 eingespielt hat, ist umwerfend. Es ist hochkonzentriert, knackig und präzise, zornig und dennoch mit Contenance vorgetragen — lässig und doch voller Engagement. Engagement für eine Musik (und ihre Botschaft — zu ihr später), die wir immer noch »Wüstenrock« nennen.

Ja, die ist bekannt, dank einer Band wie Tinariwen, die damit vor einer Generation angefangen hat, dank der zweiten Welle, für die Bombino, mittlerweile ein echter Popstar, steht: Musik aus dem unermesslich großen Transfergebiet »Sahara«, nomadisch, hybrid, mit einem Ohr an westlicher Rockmusik orientiert —vom Jimi Hendrix bis Bruce Spingsteen —, mit dem anderen an Afrobeat und High Life, also schwarzafrikanischer Musik. Mit beiden Beinen aber in einer ­eigenen, so stolzen wie distanzierten Tradition des Nomandentums stehend.

Es ist hochkonzentriert, knackig und präzise, zornig und dennoch mit Contenance vorgetragen — lässig und doch voller Engagement

Mdou Moctar (gesprochen: Emm-Duu) denkt und spielt diesen Wüstenrock einen Schritt weiter: so heftig und wuchtig, als gälte es, alle Einflüsse hinter sich zu lassen, um endlich zu einem autonomen Rock, einer unbegrenzt selbstbewussten Powermusik zu kommen. Um es einzuordnen: Die Songs, die Moctar bei seiner KEXP-Session spielt, stammen vom vorletzten Album »Afrique Victime« (2021), das aktuelle, erst vor einigen Wochen erschienene »Funeral for Justice« ist noch mal heftiger. Von »Wüstenpunk«, gar »Wüstenmetal« ist schon die Rede (die Klischees werden nicht besser …). Aber es ist ein Metal, der in der Sonne ­geschmolzen ist.

Wir reden hier nicht von einer typischen Künstlerbiographie, man muss sich von diesem Konzept, wenn wir global angemessen von aktueller, aufregender Musik reden wollen, höchstwahrscheinlich verabschieden: Der 1985 in der nigrischen Provinz in eine Touareg-Familie geborene Mahamadou Souleymane, so Moctars bürgerlicher Name, war bereits als Jugendlicher Arbeitsmigrant in Libyien, diente auch als Söldner kurzzeitig in Gaddafis Armee. Eine Beschäftigung, gar eine »kreative«, die jenseits des hart zu erkämpfenden Erwerbs liegt, war für Mahamadou nie vorgesehen. Die Arbeitsbedingungen blieben jedoch so verheerend, dass er Mitte der Nuller Jahre in den Niger zurückkehrte und sich als Musiker für Hochzeiten und Familienfeste durchschlug. Schon seine frühen Alben, hier vor allem »Afelan« von 2013, sind schon richtig gut, aber eben noch »typisch«, reihen sich ein in die Tapes und Konzertmitschnitte der zahlreichen Rockbands aus der Hauptstadt Agadez.

Erst mit »Ilana: The Creator« (2019) schwimmt er sich frei, hat er seine Band gefunden, mit der er musikalisch (bis jetzt) immer radikaler auftreten kann: mit dem Rhythmusgitarristen Ahmoudou Madassane, Schlagzeuger Souleymane Ibrahim und Bassist Mikey Coltun — aufgemerkt: ein US-Amerikaner aus der dortigen Punk-Szene, der auch die letzten Alben der Band produziert hat. Die TAZ vermutet, dass die Härte im Sound und das crispe, packende Zusammenspiel der Musiker nicht zuletzt auf Coltun zurückgeht. Das ist naheliegend und doch noch nur die Hälfte der jüngeren Geschichte: Denn die ganze Band nimmt die Punk-Botschaft an und setzt sie eigensinnig um. Wie Moctar in seine virtuosen ­Gitarrensoli regelrecht hineinstürmt, Ibrahim unermüdlich druckvoll die Band anschiebt, wie alles das doch mühelos und — das passt eigentlich gar nicht — entspannt klingt, könnte, sollte, der Sound der Stunde sein.

Die Stunde, die schlägt, ist höchst politisch: Moctar positioniert sich klar auf der Seite der neuen, gegen den französischen Imperialismus gerichteten Unabhängigkeitsbestrebungen in den Sahel-Ländern. Gleichzeitig lehnt er autoritäre politische Lösungen für sein Land ab. Als Polit-Botschafter geht er nicht auf Tour. Aber dass seine Musik vor (An-)Spannung vibriert, die selbstverständlich die widersprüchliche Lage in der Sahel-Zone reflektiert, die Faszination des West-Rocks, aber auch die Distanz zu ihm: das wird mit jedem Gitarrenanschlag deutlich. 

Konzert:

Di 27.8., Gebäude 9, 19 Uhr