Kölschrockabilly
Ein Song kommt, wann er es will. Der gerade läuft, heißt »Changes« von The Native (Plymouth/UK). Charlie Noordewiers Stimme klebt sich wie warmes Bienenwachs an die Dachschrägen meines Kölner Apartments. »I’ve seen Changes / Give me a second I’ll try / Try to make it« (Ich habe Veränderungen gesehen. Gib mir einen Moment, um sie zu schaffen).
Mittwoch, 22. Mai 2024, spät am Abend. Die Tasche für den nächsten Tag ist bereits gepackt, die Zähne sind geputzt, Ingo Zamperoni redet über Maximilian Krah und dessen Auftrittsverbot im EU-Wahlkampf. Da ploppt plötzlich eine WhatsApp-Nachricht im Handy-Display auf: »Hallo Jörg, weißt du noch, wer ich bin? Johanna hier, Charly Klausers Schwester.« Derzeit, so schreibt sie weiter, sei sie mit ihrem zweiten Baby im 6. Monat schwanger, man sehe es mittlerweile deutlich und nicht selten werde sie von Musikerkolleginnen und Musikerkollegen gleichermaßen darauf angesprochen, wie sie das denn alles schaffe; also Job, Familie und Schwangerschaft miteinander zu vereinen. — Johanna, Charly Klausers Schwester (s. Stadtrevue 12/2022), das sollte man wissen, heißt Johanna Eicker und ist eine Kölsche Saitenspezialistin. Angefangen, na klar, hat ihr musikalischer Werdegang schon in frühester Kindheit. Zusammen mit Charly musizierte sie daheim wild drauf los, mit drei Jahren erhielt sie Musikunterricht an der Violine, etwas später gewann sie im Rahmen ihrer klassischen Klavierausbildung bei »Jugend musiziert«.
Was dann folgte: The Black Sheep, womöglich einer der erfolgreichsten Kölner Rockexportschlager Ende der 2010er-Jahre (Roadrunner Records), Rockmarieche, ein Kölschrockabilly-Projekt, Mätropolis, eine All-Girl-Kölsch-Band, und die Liveband der Carolin Kebekus Show, für die Johanna seit 2012 als Bassistin fungiert. — Dass die 37-jährige Musikerin so ganz nebenbei mit Charly Klauser & Band als Support für die Fantastischen Vier oder Max Giesinger durch die halbe Republik tingelt und seit neuestem auch noch Bass für den Deutsch-Popper Schimmerling spielt, sei nur am Rande erwähnt.
Wobei: Es ist schon mehr als eine Randbemerkung, wenn Johanna am Samstagnachmittag des 8. Juni zusammen mit dem Bonner Newcomer und ihrem »Babybauch« auf der Orbit Stage bei Rock am Ring steht und daran glaubt, »dass das auch andere Musikerinnen mitkriegen sollten«, wie sie im Interview sagt. Auf dem beschwerlichen Weg zu einer höheren Frauenquote in der Musikbranche könne das ein positives Zeichen vor allem für junge Musikerinnen sein, schreibt sie in der WhatsApp-Nachricht. Und sie schiebt noch einen Satz hinterher, der auch gut und gerne als Titel dieses Textes herhalten könnte: »Da ist man halt auch mal schwanger, während man auf Tour ist.«
Samstag, 1. Juni 2024, früh am Morgen. Die Stadt erwacht. Schwere grau-schwarze Wolken ziehen über die Altstadt. Eine Woche vor der Europawahl rufen die Initiative »Köln stellt sich quer«, das Bündnis »Rechtextremismus stoppen« und die AG Arsch huh die Kölnerinnen und Kölner dazu auf, für die Demokratie auf die Straße zu gehen. Genauer: In der Deutzer Werft ein Zeichen für Menschenwürde, Vielfalt, Solidarität und ein demokratisches Europa zu setzen. Johanna ist auch mit dabei. Weil Johanna dieses Zeichen wichtig ist, weil sie Kölnerin ist und weil sie manchmal als Gitarristin von der Arsch-huh-Band eingeladen wird. In ihrem schwarzen Kombi fährt sie um kurz nach elf aufs Werftgelände, sie steigt aus, ein oder zwei Personen vom Sicherheitspersonal helfen ihr beim Tragen der Ausrüstung. Das ist nett. Und ein Reflex. Zwanzig Minuten später steht Johanna auf der kleinen Bühne des US-Showtrucks und checkt den Sound. Zusammen mit Gitarrist Dennis Kleimann (Zeltinger Band) und dem Kölner Schlagzeuger-Urgestein Klaus Mages. Das kölsch-rockt ganz gut, satter Sound, die Bässe gehen ins Mark. Mit der Frauenärztin sei das alles abgeklärt, erzählt Johanna danach Backstage, nachdem sie den Kaffee gefunden hat. Denn den braucht sie. Ist sie doch nicht nur als Berufsmusikerin ganz schön gefordert, auch nach Ende eines Konzertes stünde daheim noch so einiges auf dem Programm mit einer vierjährigen Tochter. Wie das eben so sei. Früh raus aus der Kiste, spät rein.
Da ist man halt auch mal schwanger, während man auf Tour ist
Johanna Eicker
Während Johanna so über das herausfordernde Unterfangen »Familie und Musikerin-Leben« redet, blickt sie ein ums andere Mal in die bedrohlich dunklen Wolken. Ängstlich wirkt sie nicht, aber schon ein wenig besorgt. Verständlicherweise. Steht ihre Berufung, ihre Leidenschaft in den letzten Monaten der Schwangerschaft immer so ein bisschen auf Messers Schneide. Der »Musikzirkus« drehe sich weiter, auch ohne sie, und wenn man nicht höllisch gut plane, vorausdenke und ab und zu Erspartes auf Seite lege, könne man den Anschluss verlieren. Finanziell. Beruflich. Danach ist ihr Blick aber wieder fokussiert, ihr Narrativ voller Positivität, auch weil ihre Hormone das so wollen, frotzelt sie. Ihr Humor: granatenmäßig. Schließlich spricht sie von den verständnisvollen Kolleginnen und Kollegen, die sie zu ihrer Schwangerschaft beglückwünschen würden, die ihr den Rücken freihielten. Ganz zu schweigen von ihrem Ehemann. Wie lautete noch der Spruch? Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau. Wie antiquiert. Diese Zeiten sind vorbei. Gut ist das.
Samstag, 8. Juni 2024. Kurz vor drei auf der Orbit Stage bei Rock am Ring. Schönstes Sommerwetter. Da steht Sänger Simon Klemp, Gesicht und Frontmann der Band Schimmerling, mit seiner Akustikgitarre und singt »Rosengärten / Und feinste Seide / Ja, das bist du / Ich bin nur der Lieferboi / In deiner Gegend / Und finde dich gut«. Ein paar Meter rechts daneben: Johanna. Ihr eierschalenfarbener E-Bass hängt direkt über ihrem Bauch. Ein paar Wochen nach diesem großartigen Auftritt telefonieren wir noch einmal miteinander.
Simon, so sagt sie, habe ihre Schwangerschaft auf der Bühne zum Thema gemacht, sie, ihr Baby und den Fakt, dass sie die erste schwangere Musikerin auf der Bühne von Rock am Ring sei, kurz in den Fokus gerückt. Auch hinter den Kulissen spräche Simon und die Band mit ihr über deren gemeinsamen Weg, frei nach dem Motto: »Jetzt machst du erst einmal Babypause, und im kommenden Frühjahr bist du mit Säugling und Stillprogramm wieder dabei!« Natürlich seien das Mutmacher für die kommenden Monate, sie schätze Simon sehr, doch wisse sie nur zu gut, welch enormer Kostenapparat hinter einer solchen Produktion stecke, und dass es am Ende auch eine Frage der Finanzierung sein werde. Extra-Bedürfnisse wie Begleitpersonen, aufwändigere logistische Planungen oder ein genereller Mehraufwand für eine stillende Mutter werden da schnell zu einem Wunschkonzert, das zu geben vielleicht niemand imstande sein wird.
Eigentlich, gibt sie unumwunden zu, sei dieses im Mittelpunktstehen gar nicht ihr Ding, sie wolle sich nicht als cool darstellen oder ihre Schwangerschaft dafür instrumentalisieren, Werbung in eigener Sache zu machen. Das könne sie medial viel einfacher über Instagram und Co. machen, wenn sie denn wolle. Ihr ginge es viel mehr um die Relativierung dieser viel zu stark aufgeblasenen und letztendlich viel zu emotional geführten Debatte. Tatsächlich negative Äußerungen oder ein gar kollektiv-naserümpfendes Kopfschütteln erlebe sie jedoch nicht. Es seien eher gezielte Nachfragen, zum Beispiel, ob es dem Baby oder ihr gesundheitlich gut gehe. Von Verwunderung bis hin zur Bewunderung ist alles dabei. Generell überrasche sie manchmal die Intensität der Reaktionen anderer, da es doch viel krassere Jobs gebe, in denen es völlig normal sei, schwanger, bisweilen sogar hochschwanger zur Arbeit zu gehen. »Was also ist das Verwunderliche an einer Rockmusikerin mit Babybauch?«, fragt sich Johanna.
Zurück zur Deutzer Werft. Das Gelände vor der Bühne füllt sich in rasender Geschwindigkeit mit Demonstrantinnen und Demonstranten, die Schilder mit Aufschriften wie »Liberté, Egalité, fck AfD« oder »Bunt statt braun« hochhalten. Die Arsch-huh-Band, allen voran die Mundart-Sänger Sven Welter (Paveier) und Patrick Lück (Höhner), geben alles. »Dofür stonn mer all he zesamme / Ohne Hass un nit nur für dä Effzeh/ Un bei uns sin Minsche einfach Minsche / All sin mer jlich, su läuf dat he / Su läuf dat he«. Kennt man, aber die 10.000 Menschen vor der Bühne wirken trotzdem wie beseelt. Ein paar Minuten später steht Johanna wieder mit ihrem Kaffee hinter der Bühne. Sie grinst über beide Ohren: »Der Kleine boxt ganz schön.« — Wie gesagt, ein Song kommt, wann er es will. »I’ve seen Changes / Give me a second I’ll try /Try to make it«. Johanna.