Blick auf die vergangene Theaterinsel: Rausch im Theater an der Ruhr

Dem Geheimnis auf der Spur

Das Theater an der Ruhr befragt in seinen drei intensiven Spielphasen, den »Theaterinseln«, das Geheimnis

»Die schüchterne Schwester ist die Scham, ihre vorlaute Schwester die Neugier«, heißt es in der Ankündigung, die das Theater an der Ruhr anlässlich der neuen Spielzeit 2024/25 veröffentlicht. Und weiter: »Sein ungleicher Zwilling ist das Rätsel, sein strahlender Gegenbegriff die Aufklärung.« Rätselhaft klingen diese Sätze — und das passt: Das Theater in Mülheim an der Ruhr hat sich für das Programm der kommenden Monate das Geheimnis zum Thema gemacht. Bereits zum zweiten Mal wagt das Haus damit ein Experiment, das den herkömmlichen Spielplan auf den Kopf stellt.

Als »radikale Abkehr« beschreibt auch Dramaturg Alexander Weinstock diese Pläne: weg vom Repertoiretheater, das das Haus seit Jahrzehnten war, hin zu einem Raum für Experimente. Bereits in der letzten Spielzeit 2023/24 hat das Theater diesen Versuch gewagt, mit den »Theaterinseln«, drei intensiven Spielphasen, die sich mit unterschiedlichen künstlerischen Formaten um ­einen Begriff scharren und versammeln. Zuletzt war das Rausch, in dieser kommenden Spielzeit kommt nun das Geheimnis.

»Das gesamte Haus, alle Gewerke, alle Mitarbeitenden, haben sich in einer Abstimmung für dieses Thema entschieden«, erzählt Weinstock. »Es ist ein Begriff, der etwas aushält, der auch etwas hergibt, der inhaltlich belastbar ist, eine Unschärfe und Ambivalenz besitzt. Das hat unser Interesse geweckt.« Auftakt für das Programm ist der 23. August. Dann zeigen der Hamburger Regisseur Alexander Klessinger und der Maskenspieler und Regisseur Mats Süthoff das Stück »Ödipus« nach Sophokles, das »Geheimnis-Stück schlechthin«, wie es in der Ankündigung heißt. Auf der Open-Air-Bühne im Raffelbergpark wird die Inszenierung das Spiel mit den Masken und die Frage »Was ist der Mensch?« in den Mittelpunkt stellen.

Geheiminis ist ein Begriff, der etwas aushält, eine Unschärfe und Ambivalenz besitzt

Einen Tag später geht es im Theaterhaus mit der Premiere von »Bock« weiter, eine Inszenierung von Regisseurin Katharina Stoll, die ausgehend von dem gleichnamigen Roman der Journalistin Katja Lewina »unter die Bettdecken und in die Köpfe schaut«: Auf lustige und kritische Weise sollen dort Bilder von männlicher Sexualität befragt werden. Wie erleben Männer ihre Sexualität, welche Sehnsüchte und Geheimnisse ­haben sie? Wie beeinflusst das Patriarchat die Männer im Bett?

»Ich bin sehr gespannt, wie ­diese beiden Stücke diese Flankierung an das Geheimnis von zwei Seiten bewerkstelligen«, sagt Alexander Weinstock. »Beide Produktionen arbeiten mit der Verschränkung von Privatem und ­Politischen, aber auf sehr unterschiedliche Weise. Einmal mit der philosophischen Frage nach dem Mensch-sein, einmal sehr konkret, wenn Sexualität und Intimität als vermeintlich radikal privates Thema auf die Bühne kommt und vor einem gesellschaftspolitischen Hintergrund Konturen von Sagbarkeit oder Unsagbarkeit entwickelt.«

Rund um die Premieren wird es — so das Konzept der »Theaterinseln« auch Workshops und auf die Inszenierungen bezogene Gesprächsformate geben. Die bekannte Sexologin Katrin Hinrichs (1.9.) lädt zum Talk. Alexander Hinrichs sagt: »Sie spricht über die Dinge, über die man — und da dürfen wir es auch als Mann verstehen — nicht spricht und räumt in diesem Zuge gleich mit dem Mythos auf, dass über manches nicht gesprochen werden soll.«

Bei der Gesprächsreihe »Parole Transparenz« widmet sich das Theater außerdem (ein etwas nüchterneres Thema) dem Kampf für Transparenz und Datenschutz, geladen ist der Rechtsphilosoph Johannes Caspar (7.9.). Der Illusionist Manuel Muerte gibt bei einem Workshop Einblicke in das wohlgehütete Geheimnis hinter der Zauberei (30.8.) und deckt zusammen mit der renommierten Puppenkünstlerin bei einer Performance verborgene Mechanismen der Psyche auf (29.8.). Während der gesamten Zeit der Theaterinseln wird es zudem einen von der Kölner Kunsthochschule für Medien gestalteten Installationsparcour geben, sowohl draußen im Park als auch im Haus.

»Nachdem das Geheimnis als Thema feststand, haben wir uns sehr gezielt auf die Suche nach Programmpunkten begeben und herausgekommen ist ein stimmiges, dichtes, sehr konzentriertes Programm«, sagt Alexander Weinstock. »Uns war wichtig, dass wir viele Hände ausstrecken und alle Menschen einladen, ganz egal, ob oder wie viel Theatererfahrung man mitbringt. Sicher sind nicht alle Programmpunkte für alle ­gleichermaßen interessant, aber viele sind es für viele.«

Theater an der Ruhr, ab 23.8.