Köln passt sich an Die Stadt im Klimawandel
»Wir müssen die Akzeptanz für Wildnis stärken!«
Reinhard Predel, Zoologe an der Universität zu Köln, erklärt, wie sich der Klimawandel auf die Artenvielfalt auswirkt
Herr Predel, wie divers ist die Kölner Tierwelt noch?
Früher konnten wir im Sommer abends bei Licht die Fenster nicht aufmachen, sonst war die Zimmerdecke schnell mit Insekten voll. Heute verirren sich kaum noch Mücken oder andere Insekten in die Innenräume.
Das ist ja auch ganz angenehm so.
Ja, aber die Insekten sind auch Nahrung für andere Tiere. Wir haben einen Tiefpunkt erreicht, sowohl was die Dichte als auch die Artenvielfalt angeht. Der Kölner Raum ist seit Hunderten von Jahren landwirtschaftlich geprägt. Diese Flächen sind bezogen auf die Biodiversität oft noch deutlich schlechter dran als die Großstadt.
Inwiefern wirkt sich der Klimawandel auf die Artenvielfalt in Köln aus?
Das lässt sich noch nicht eindeutig beantworten und hängt auch davon ab, welche Kleinstlebensräume wir in der Stadt zulassen. Eine weniger häufig gemähte Wiese oder ein Komposthaufen sind schon mal nicht schlecht. Wir haben viele neue Arten, die meist unabsichtlich aus allen möglichen Weltgegenden nach Köln verschleppt werden, und sich bei höheren Temperaturen wohl fühlen. Generell ist es so, dass eine Verlangsamung des Klimawandels wichtig wäre. Ein schneller Klimawandel kann regional ein Aussterben von Arten verursachen. Im besten Fall verschiebt sich die bewohnte Region bloß durch den Klimawandel. Wenn es bei uns trockener und wärmer wird, wandert die Tier- und Pflanzenwelt des Mittelmeerraums zu uns. Dort gibt es einen höheren Artenreichtum. So käme Deutschland bezogen auf die Tier- und Pflanzenwelt vielleicht glimpflich weg. Problematisch wird es, wenn Migrationskorridore fehlen. Großflächige Vernichtung von natürlichen Lebensräumen trägt dazu erheblich bei. Global gesehen verschwinden Lebensräume, wo keine Verschiebungen mehr möglich sind, etwa die der Antarktis, komplett.
Die meisten Menschen unterschreiben alles für Biodiversität, aber wenn plötzlich eine Spinne auf dem Bauch liegt, gibt es einen Aufschrei
Welche Tiere sind auf dem Vormarsch?
Ich habe zuletzt eine Gottesanbeterin gesehen! Die kommen aus dem Süden und laufen in ein Gebiet rein, das sich erwärmt. Aber es kommen auch andere Tiere zu uns, die wir nicht so toll finden, etwa neue Zeckenarten oder Tigermücken.
Bringen neue Arten neue Gefahren mit sich?
Klar, sie können auch Krankheiten mitbringen. Die sind aber recht gut erforscht, es gibt Impfungen oder andere Behandlungsmethoden. Die Tigermücke ist an sich nicht gefährlich. Damit sie potenzielle Krankheiten überträgt, braucht es eine bestimmte Grundtemperatur.
Aber die erhöht sich ja.
Natürlich wird das durch den Klimawandel begünstigt, aber so weit sind wir noch nicht. Ich fände es besser, Menschen bei Bedarf zu impfen, statt Mückenlarven großflächig zu bekämpfen, wie es oft gemacht wird. Da geht es nicht mal um Krankheiten, sondern nur um unangenehme Mückenstiche. Das massenhafte Auftreten im Frühjahr hat einen ökologischen Sinn: Vernichtet man die Mückenlarven, gibt es für Jungfische, Fledermäuse und insektenfressende Vögel weniger Futter.
Warum siedeln sich denn immer mehr invasive Arten an?
Invasive Arten wie Sittiche, Nil- oder Kanadagänse sind aus Zuchten ausgebüchst und kommen gut mit den Menschen zurecht. Sittiche etwa nutzen Platanen als Brutbäume, ebenfalls nicht heimische Bäume, die mit der Trockenheit und dem Klimawandel hier gut zurechtkommen. Damit verändert sich das ganze Ökosystem zu einem Mischmasch. Das kann man als Zoologe furchtbar finden, aber es ist immerhin recht divers.
Wie könnte man die Artenvielfalt steigern? In der Landwirtschaft müsste man mehr Grünstreifen an den Feldrändern und Hecken stehen lassen. Das widerspricht den finanziellen Interessen des Bauern. In der Stadt sollte man die Akzeptanz für mehr »Wildnis« und weniger englischen Rasen stärken. Wenn ich den Kleingarten ein wenig verlottern lasse, kann ich vieles bewirken! Und nicht alles nach dem gleichen Muster bepflanzen, etwa mit der gleichen industriell hergestellten Blütenmischung. Wer Diversität möchte, muss auch Vielfalt anbieten. Bis vor ein paar Jahren wurden die Wiesen in den Parks und am Grüngürtel ständig gemäht — das war hart an der Grenze zum Tod aller kleinen Tiere, weil so auch immer die Insektenlarven geschreddert wurden.
Das ganze Ökosystem verändert sich zu einem Mischmasch. Das kann man als Zoologe furchtbar finden, aber es ist immerhin recht divers
Was sind die Folgen?
Vor vier oder fünf Jahren haben wir Heuschrecken für ein Projekt gebraucht und wollten welche keschern. Im Grüngürtel vorm Biozentrum haben wir keine einzige gefunden! Seit einiger Zeit werden einige Wiesen stehen gelassen, z. B. am Herkulesberg, und prompt haben wir wieder Heuschrecken gesehen! Die meisten Menschen unterschreiben alles für Biodiversität, wenn aber plötzlich eine Spinne auf dem Bauch liegt, weil die Wiese nicht gemäht ist, gibt es einen Aufschrei.
Geht es also vor allem um einen Bewusstseinswandel?
In manchen Wohngebieten ist alles versiegelt. Da muss es einen Wandel geben, und die junge Generation geht da schon anders ran. Wir brauchen Dachgärten, Fassadenbegrünung, noch mehr artenreiche Wiesen, und vor allem weniger Stein- oder Mulchvorgärten.
Ausflugstipp für den Sommer: Wo ist Köln am artenreichsten?
Die Wahner Heide ist schön durchmischt und recht divers. Da gibt es offene Heidelandschaften, da kann man einiges aus der Tier- und Pflanzenwelt erspähen. Im Bergischen, wo die Landschaft aufgelockerter ist, wird es fast noch artenreicher.
Interview: Anja Albert
Bei 32 Grad im Wollpullover
Ein Sommertag im Seniorenheim St. Augustinus in Nippes
Es ist ein warmer Vormittag Ende Juni, der Deutsche Wetterdienst hat soeben eine Hitzewarnung für Köln herausgegeben. Das Seniorenhaus St. Augustinus an der Kempener Straße ist im EM-Fieber: Luftschlangen in Deutschlandfarben liegen auf den Tischen, auf grüner Pappe hat jemand mit Filzstift die Spielergebnisse eingetragen. Rund siebzig alte Menschen leben hier, immer acht zusammen in einer »Hausgemeinschaft«. Fast alle von ihnen haben eine Form von Demenz. Wie ist das für sie, wenn die Temperaturen über 30 Grad steigen?
Bei Hitze sind alte Menschen besonders gefährdet. Vor allem, wenn sie dement sind. Sie vergessen zu trinken oder tragen bei 32 Grad Wollpullover, so schildert es Christian Opel, der die Einrichtung seit acht Jahren leitet. »Die Menschen können das Risiko nicht mehr erfassen«, sagt Opel. Rund 8700 Menschen sollen im Hitzesommer 2018 in Deutschland gestorben sein, ein Jahr später nochmal rund 7000, der Großteil von ihnen im Seniorenalter. Christian Opel kennt diese Zahlen, und auch er registriert, wie die Hitzewellen durch den Klimawandel zunehmen. Wenn der Sommer kommt, ist man im St. Augustinus deshalb gut vorbereitet. Es gibt ein Schutzkonzept der katholischen Stiftung der Cellitinnen, die das Altenheim betreibt. Sobald der Deutsche Wetterdienst eine Hitzewarnung ausgibt, steht im St. Augustinus die Flüssigkeitszufuhr im Fokus. Opel und seine Mitarbeiter führen dann Trinkprotokolle bei denjenigen, die Diabetes, Nierenerkrankungen oder andere Erkrankungen haben, bei denen es »bei Hitze schon mal entgleisen kann«, wie Opel sagt. Wer nicht trinken mag, dem versuchen die Mitarbeiter die Flüssigkeit auf anderem Wege unterzujubeln, etwa in Form von Wassermelonen oder Wassereis. »Das sind diese bunten Stangen, wie in der Kita. Flüssigkeit und Zucker — das tut den Leuten gut«, sagt Opel.
Ein Mitarbeiter macht gerade beim Gesundheitsamt eine Schulung zum Hitzeschutzbeauftragten, da geht es um den Einfluss der Temperaturen auf die Wirksamkeit von Medikamenten, oder darum, bei welchen Erkrankungen besondere Vorsicht geboten ist. Als eine der ersten Kommunen in Deutschland hat Köln 2019 damit begonnen, einen Hitzeaktionsplan für Menschen im Alter zu erstellen; Umfragen unter alten Menschen und in Senioreneinrichtungen wurden durchgeführt. Ergebnis ist ein Maßnahmenkatalog, der von Sonnenschutz bis Getränkebilanzierung alles abdeckt, was auch im St. Augustinus praktiziert wird. Auch ein Hitzetelefon für alleinlebende Menschen wird angeboten, die noch stärker gefährdet sind als die Bewohner von Altenheimen. Und es werden langfristige Maßnahmen genannt: Vorgärten und Fassaden sollen begrünt oder Parkplätze entsiegelt werden.
Viele haben fürchterliche Angst vor dem Stoßlüften. Durchzug gilt ihnen als hochgefährlichChristian Opel, St. Augustinus
Auch das Dach von St. Augustinus will Opel begrünen lassen; gerade holt er Angebote ein. Eine Klimaanlage gibt es, wie in den meisten Kölner Altenheimen, nicht. An heißen Tagen lüftet das Personal im St. Augustinus nachts quer, verdunkelt tagsüber die Fenster und stellt Ventilatoren auf. Das helfe gut, sagt Opel. Trotzdem wird es vor allem in den oberen Etagen warm unterm Flachdach, oft bis 26 Grad. Das sei auch für die Pfleger sehr anstrengend, die ja körperlich arbeiten, berichtet Opel. Und wenn ein Bewohner bei dem Wetter partout raus will, dann geht ein Mitarbeiter mit.
Frau Mandt etwa lässt sich auch bei Hitze ihre tägliche Tour mit dem elektrischen Rollstuhl zum Rewe nicht nehmen. »Ich bin da nicht empfindlich«, sagt sie. Das Wetter sei anders als früher, findet sie. »Früher hatten wir normale Sommer. Heute haben wir Hitze oder es regnet nur. Da bin ich doch froh über jeden Tag, wo es mal warm ist! Da geh ich zum Rewe, an die frische Luft!« Frau Mandt hat in der Hausgemeinschaft »Florastraße« das Kommando. Wenn es etwas zu essen gibt, das sie nicht mag — Hühnerfrikassee zum Beispiel —, kocht sie mithilfe der Betreuer für alle in der Gemeinschaft etwas anderes. Zum Glück trifft das Wassereis an heißen Tagen ihren Geschmack. »Der Herr Opel versorgt uns hier sehr gut!«, ruft sie.
Eine Etage weiter oben, am »Baudriplatz«, ist es schon merklich wärmer. Ein Schlager von Nicole schallt durch den Gang, am Tisch sitzen drei Bewohner, lesen Zeitung oder machen ein Nickerchen. Vor ihnen auf dem Tisch steht Wassermelone, noch unberührt. Opel fährt den Sonnenschutz aus, doch die Markise hängt schief, seit der Rettungshubschrauber im Landeanflug zum benachbarten St. Vinzenz-Krankenhaus mal zu tief übers Seniorenheim geflogen ist.
Viele Bewohner steckten die Hitze gut weg, sagt Christian Opel. »Die meisten alten Menschen mögen es, wenn es warm ist. Manche drehen sogar noch im Sommer die Heizung im Bad auf.« Wenn die Nachtwachen nachts die Fenster weit öffnen, um kühle Luft hereinzulassen, führe das oft zu Diskussionen. »Viele haben fürchterliche Angst vor dem Stoßlüften, Durchzug gilt ihnen als hochgefährlich. Dass ein Hitzschlag viel gefährlicher ist, ist vielen gar nicht bewusst.«
Anne Meyer
»Man muss Regen auch als Ressource begreifen«
Am alten Schützenplatz in Porz-Eil zeigt ein Pilotprojekt, wie man sich gegen Starkregen wappnen kann
Am Vormittag hat es wieder heftig geregnet in Köln. Nicht überall, doch mancherorts so stark, dass sich große Pfützen auf den Straßen gebildet haben. In Eil aber ist es trocken, gerade scheint die Sonne, dann ist es wieder bedeckt. Das Wetter ist unbeständig, wie so oft in den vergangenen Wochen, wenn das schwüle Wetter immer wieder von Gewittern mit teils heftigen Regenfällen unterbrochen wurde.
Doch hier, wo der Hirschgraben auf die Frankfurter Straße trifft, ist man gewappnet. Denn am alten Eiler Schützenplatz haben die Stadtentwässerungsbetriebe (StEB Köln) einen »multifunktionalen Freiraum mit Retentionsfunktion« errichtet. Es geht um »Risikominderung bei Starkregenereignissen«, und zugleich um »städtebauliche Aufwertung«, heißt es auf der Informationstafel. Rund um das Auffangbecken gibt es Parkbänke, Pflanzenbeete, große Stufen aus Beton, auf denen man Platz nehmen kann. Im begrünten Auffangbecken können Kinder spielen, und auch für das Zelt vom Eiler Schützenfest ist weiterhin Platz.
Seit 2017 veröffentlicht die StEB eine Starkregen-Gefahrenkarte. Entlang der Frankfurter Straße sieht man darauf tiefdunkelblau markierte Bereiche — das ist die höchste Gefährdungsklasse, hüfthohe Wasserstände sind möglich. Denn die Frankfurter Straße folgt in diesem Abschnitt einem alten Rheinarm und liegt in einer Senke. Alle Einmündungen von Eil bis ins rund zwei Kilometer weiter südlich gelegene Urbach haben starkes Gefälle. Besonders hier am Eiler Schützenplatz, wo die Frankfurter Straße selbst noch ein großes Gefälle aufweist und wo mit dem Hirschgraben und der Jägerstraße dann noch zwei weitere Straßen einmünden.
»Bei einem starken Regenereignis kommt es zu Oberflächenabfluss — dann fließt das Wasser von den Straßen hinunter in den Senkenbereich«, sagt Christian Gattke, der den Geschäftsbereich »Wasserwirtschaftliche Grundlagen und Investitionen« der StEB leitet. Er deutet auf die Frankfurter Straße: »Deshalb sind die anliegenden Gebäude in einem solchen Fall alle von Überflutung gefährdet.«
Doch andererseits eignete sich der Schützenplatz auch gut, um eben diese Gefahren bei Starkregen zu vermindern — indem er zur Retentionsfläche umgebaut wurde. Drei kleine, unauffällige Betonkästen ragen aus dem begrünten Rand der Auffangfläche heraus; vor den Öffnungen sind vergitterte Türchen, es könnten auch Zwergenhöhlen in einem Märchenfilm sein. Es sind Zuleitungen der angrenzenden Straßen sowie ein Ablauf in die Kanalisation. Bei heftigem Regen, erläutert Gattke, würde zunächst der first flush, ein sogenannter Spülstoß, in die Kanalisation fließen; es ist Wasser, das aufgrund der von täglich bis zu 15.500 Kraftfahrzeugen befahrenen Frankfurter Straße verschmutzt ist; erst danach wird das übrige Regenwasser auf die neue Retentionsfläche geleitet; dort stünde das Wasser dann rund 85 Zentimeter hoch – und nicht auf den Straßen oder gar in den Kellern der Häuser. Insgesamt können so rund 750 Kubikmeter Regen aufgefangen werden. Die komplette Maßnahme hat 1,7 Mio. Euro gekostet, vier Jahre wurde geplant, dann mehr als ein Jahr gebaut, bis die Anlage schließlich im April vergangenen Jahres fertig war. Ein weiteres, kleineres Projekt gibt es zweihundert Meter weiter in Eil, wo unterirdisch 30 Kubikmeter gespeichert werden können. Aber wie viele solcher Projekte braucht Köln, um vor Starkregen halbwegs geschützt zu sein?
Manche Häuser sind offenbar für eine Welt ohne Regen geplant. Am liebsten würde ich dann klingeln und darauf hinweisenChristian Gattke, Stadtentwässerungsbetriebe
»Wir sind gerade dabei, ein Kataster mit der Stadtverwaltung aufzustellen«, sagt Gattke. »Wo sind die Hotspots? Und wo gibt es in der Nähe öffentliche Plätze, die wir zur Problemlösung nutzen können? Da haben wir schon einiges identifiziert.« Nun gehe es um Quick Wins: »Fünf, sechs Maßnahmen, die rasch umgesetzt werden können.« In Deutz hat man ein Projekt »Klimarobuste Kasemattenstraße« gestartet. Parkplätze werden zu einer Mulde mit unterirdischer Zisterne und Rigole umgebaut. »Ein weiteres Projekt, das wir in die Planung gegeben haben, ist der Klingelpützpark«, sagt Gattke. »Wir wollen einen Masterplan zur Überflutungs- und Starkregenvorsorge für die gesamte Stadt aufsetzen.«
Einfacher ist es bei den großen Bauvorhaben: »Da sind wir immer als StEB mit unserer Expertise vertreten, etwa in der Parkstadt Süd oder in Rondorf-Nordwest.« Immer mehr komme der Schwammstadt-Gedanke zum Tragen, sagt Gattke. »Regenwasser soll nicht mehr in die Kanalisation abgeleitet werden, sondern primär auf Grundstücken versickern. Das Oberflächenwasser auf weniger befahrenen Straßen, das nicht verunreinigt ist, soll in sogenannte Baumrigolen, also Beete, versickern, wo es auch zwischengespeichert werden kann.«
Man sei heute weit weg von dem alten Gedanken, Regenwasser möglichst schnell in die Kanalisation zu leiten, sagt Gattke. »Man muss Regen auch als Ressource begreifen.« Der Schwammstadt-Gedanke helfe nicht nur dabei, Starkregen versickern zu lassen, sondern führe letztlich auch zu mehr Grün, und zur Kühlung.
Hat Gattke, wenn er privat durch die Stadt geht, einen anderen Blick aufgrund seiner Profession? Springen ihm auch hier Hotspots ins Auge? »Ja!«, sagt Gattke, ohne zu zögern. »Das kriegt man nicht weg, ich gucke auf jedes Haus, an dem ich vorbeigehe. Da denk ich oft: O Gott! Etwa, wenn ich Häuser sehe, wo der barrierefreie Eingang unter Straßenniveau liegt. Die sind offenbar für eine Welt geplant, in der es keinen Regen gibt. Am liebsten würde ich dann manchmal klingeln und darauf hinweisen.«
Bernd Wilberg
Die Starkregen-Gefährdungskarte der StEB findet man auf hw-karten.de
Unerträglich
Der Klimawandel macht es den Bauern in der Region schwer. Sich anzupassen, ist kompliziert und oft nicht wirtschaftlich
Die Vorzeichen waren gut. Im Frühjahr waren die Böden feucht und die Temperaturen mild gewesen. Monika Rönn, die in Meckenheim bei Bonn einen Obsthof betreibt, der auf Äpfel spezialisiert ist, rechnete mit einer üppigen Ernte. Doch Anfang Juli nennt Rönn das Jahr einen »Totalschaden«. Der Grund waren zwei Nächte im April. »Alle Wettervorhersagen waren sich einig, dass es keinen Frost mehr geben wird«, berichtet Rönn. An einem Sonntag seien dann am frühen Abend aber die angekündigten Temperaturen für die folgende Nacht auf ein bis zwei Grad minus runtergegangen. »Wir haben zwar Frostschutzöfen, aber die Zeit reichte nicht mehr aus, um die 100 Öfen rauszubringen.« Als Rönn ins Bett ging, war ihr klar, dass am nächsten Morgen die Arbeit eines ganzen Jahres größtenteils dahin sein würde. Die Temperaturen sanken in zwei Nächten in Folgen auf minus vier Grad — und beschädigten Blüten und Früchte. Wenn im August geerntet wird, bleiben wohl nur noch zehn Prozent des durchschnittlichen Ertrags übrig.
Für den Betrieb von Familie Rönn sind Frostnächte die größte Bedrohung des sich wandelnden Klimas. Wobei das Problem nicht der Frost, sondern die sehr milden Winter seien, erklärt Monika Rönn. »Frostnächte hat es immer schon gegeben, aber die Bäume waren früher noch nicht so weit, dass der Frost so immensen Schaden anrichten konnte.« Zumal es für eine gute Ernte ausreicht, wenn aus ursprünglich 1000 Blüten pro Baum 80 bis 120 Äpfel werden. Dieses Jahr aber hätten die Apfelbäume schon an Ostern in voller Blüte gestanden — obwohl Ostern sehr früh war. »So früh wie in diesem Jahr ist die Natur noch nie gestartet.«
Dabei war der Obsthof Rönn vorbereitet. Bereits 2017 hatten kalte Nächte im April die gesamte Ernte zerstört. Die Rönns investierten in Frostschutzöfen und den Bau einer Anlage zur Frostschutzberegnung. Außerdem schafften sie für einen Großteil der 25 Hektar Erntefläche Hagelnetze an, die Äpfel auch vor Sonnenbrand und Hitzeschäden schützen, und bauten gemeinsam mit umliegenden Betrieben ein Auffangbecken für Regenwasser. Außerdem pflanzen sie mittlerweile mehr und vermeintlich resistentere Sorten an. »Wir versuchen, uns an den Klimawandel anzupassen, wo es geht. Aber es ist unberechenbarer geworden«, sagt Monika Rönn. »Ich habe letztens jemandem unsere Probleme erklärt. Der sagte: Da ist ja Lottospielen einfacher.«
So wie es jetzt aussieht, wird es auf lange Sicht keinen heimischen Apfelanbau mehr gebenMonika Rönn, Obsthof Meckenheim
Wie dem Betrieb aus der Nähe von Bonn geht es vielen Erzeugern im Land — egal, ob sie ihr Geld mit Fleisch, Gemüse oder Getreide erwirtschaften. Landwirtschaft war schon immer abhängig vom Wetter. Doch durch den Klimawandel sind die Risiken vielfältiger geworden, und sie treten häufiger auf. Hitze und Trockenheit, Starkregen und Hagel, Schädlinge — längst ist es in der Branche, aber auch in der Politik angekommen, dass man sich gegen die Bedrohungen des Klimawandels wappnen muss. Laut Umweltbundesamt ist es für die Landwirtschaft »besonders wichtig, die Folgen des Klimawandels zu kennen und sich rechtzeitig auf diese vorzubereiten«. Das Bundeslandwirtschaftsministerium skizziert den Klimawandel als »größte Gefahr für die Landwirtschaft«. Neben Förderprogrammen für Maßnahmen, die die Betriebe resilienter machen sollen, werden auch Forderungen lauter, dass die Landwirtschaft selbst mehr gegen den Klimawandel tun soll.
Denn Landwirtschaft ist nicht nur stark betroffen, vor allem konventionelle Großbetriebe sind auch ein Treiber des Klimawandels. Neben Düngemitteln und Pestiziden sowie Monokulturen, die vor allem der Biodiversität schaden, ist dafür der Ausstoß von Methan verantwortlich. Das extrem klimaschädliche Gas wird etwa bei der Verdauung von Kühen freigesetzt.
Für die Familie Kremershof war das ein Grund, ihren Betrieb nach vielen Jahrzehnten umzubauen. Über mehrere Generationen hinweg hat man auf »Gut Kremershof« in Wipperfürth von der Milchwirtschaft gelebt. Vor knapp vier Jahren stieg man aus. »Die Milchwirtschaft ist echt schwierig«, sagt Rahel Kremershof. Doch steigende Kosten und schwindende Margen seien nicht das einzige Problem gewesen. »Wir haben für uns festgestellt, dass das nicht mehr zu uns passt«, sagt sie. »Man muss sich selbst noch im Spiegel anschauen können. Da hilft einem das Argument ›Haben wir aber immer schon so gemacht‹ nicht.«
Seither strukturiert die Familie ihren Betrieb um — hin zu einer vielfältigeren, regenerativen und extensiven Nutzung des Weidelands. Einen Teil der Mutterkühe hat der Betrieb behalten, um sogenanntes holistisches Weidemanagement zu betreiben. Die Tiere nutzen jeweils für einen kurzen Zeitraum nur kleine Abschnitte der Fläche und grasen die Weide weniger stark ab als bei klassischer Viehhaltung. Die Pflanzen bilden so stärkere Wurzeln und können etwa mehr Wasser speichern, zudem erhöht sich die Artenvielfalt bei Tieren und Pflanzen gegenüber intensiv genutzten Weideflächen. Auch gründete man eine solidarische Landwirtschaft für Gemüse und koppelte Bildungsangebote an den Hof an. Eine neuartige Methode, die die Kremershofs zudem probieren, ist der »Agroforst«. »Wir haben auf Grünland Pappeln in Streifen gepflanzt, das nennt sich Keyline-Design«, erklärt Rahel Kremershof. Die Baumreihen speichern und leiten Niederschläge, spenden den Legehennen Schatten und schützen vor Wind. »Weil wir natürlich davon ausgehen, dass das Klima wärmer wird, und uns daran anpassen wollen.« Man habe das Bergische Land früher den »Garten Eden« genannt wegen seines ausgewogenen Klimas. »Das gibt es heute nicht mehr. Das Wetter ist extremer geworden.«
Das Argument ›Haben wir immer schon gemacht‹ hilft einem nicht weiterRahel Kremershof
»Wir sind in einer Vorreiter-Rolle«, sagt Rahel Kremershof zum Agroforst-Modell. Doch Verpächter seien oft skeptisch, weil Bäume den Wert einer Fläche mindern. Auch sei eine weniger intensive Nutzung der Fläche auch weniger wirtschaftlich. »Diese Art zu wirtschaften ist sehr teuer. Und es ist noch nicht bei allen Menschen angekommen, dass sie auch wirklich besser ist«, sagt Kremershof, deren Mann mit einem Job im Tiefbau
den Hof querfinanziert.
Sie appelliert an die Konsumenten. Auch Monika Rönn vom Obsthof Rönn wünscht sich mündigere Verbraucher. Sie lädt Menschen etwa im Rahmen der Bio-Wochen NRW Ende August ein, ihren Hof zu besuchen und die Probleme einer Landwirtschaft, die den Klimawandel nicht befeuert und dennoch mit seinen Folgen leben muss, zu verstehen. »So, wie es jetzt aussieht«, sagt Rönn, »wird es auf lange Sicht keinen heimischen Apfelanbau mehr geben.«
Jan Lüke