Und die Welt steht Kopf
Ein Samstag im Juli, Monheim, Marienkapelle am Rhein, 17 Uhr. Gleich kommt der Moment, in dem die Welt Kopf stehen wird, eine Trompete sich wie ein Streichquartett anhört oder ein Moog-Synthesizer; wo schnell gespielte Musik plötzlich still zu stehen scheint und umgekehrt statische Klangblöcke brechen und zerbröseln. Peter Evans gibt für die Monheim Triennale ein Solo-Konzert. Die Kapelle ist rappelvoll, das Publikum hält den Atem an.
Natürlich kennt man Evans. Der 1981 geborene New Yorker Trompeter, Bandleader und Komponist zwischen Jazz und Neuer Musik ist seit 20 Jahren in den Jazz- und Improvisationsszenen ein Star: gefeiert als großer Innovator, einer, der nicht nur experimentiert oder verfremdet, sondern wirklich anders spielt, der Musik für unsere Zeit denkt. Dass er nicht nur einer der Künstler der Monheim Triennale ist, sondern Anfang September mit gleich drei Konzerten auf der Cologne Jazzweek vertreten ist, überrascht nicht.
»I just try to relax and keep my mind empty«, schreibt er auf Nachfrage. Das ist nicht nur ein lockerer Spruch, denn die Frage lautete, ob er, ehe er ansetzt, schon einen bestimmten Ton, einen bestimmten Klang im Kopf habe. Aber nein, er insistiert darauf, bei Null anzufangen.
Das Wichtigste ist: Hat die Musik Ausstrahlung? Hat sie Persönlichkeit, Charisma, Energie — und klingt sie interessant? Peter Evans
Das heißt paradoxerweise nicht, dass diese »Null« voraussetzungslos ist. »Ich habe inzwischen ein großes Werk an Solomusik geschaffen und viele, viele Konzerte gespielt«, sagt er im Interview. »Für mich persönlich besteht die Herausforderung also darin, immer wieder neue Umgebungen und Strategien zu schaffen, die für mich spannend und inspirierend sind. Ohne das wird es nicht funktionieren — ich glaube, das Publikum merkt, wenn ein Künstler von seinem eigenen Spiel gelangweilt ist.« Die große Free-Jazz-Revolution ist jetzt 60 Jahre her (und wurde damals, 1964 im New Yorker Cellar Cafe, von Musikern und Kritikern tatsächlich als »October Revolution in Jazz« ausgerufen). Diese Musik und ihre Wandlungen haben seitdem nicht aufgehört zu faszinieren. Aber ein Aspekt daran hat sich definitiv erschöpft: der Glaube an reine Inspiration, an pure Improvisation, der Schöpfung aus dem Nichts.
Peter Evans steht dafür exemplarisch: Er macht eigentlich unablässig Musik, arbeitet immer an Ideen und stellt diese in den Vordergrund seiner Musik. Intuition ist kein Geschenk Gottes, sondern harte Arbeit. »Ich überliste mich selbst zum Arbeiten, während ich prokrastiniere. Ich habe immer ein kleines Notizbuch bei mir oder ein Stück Notenpapier. Im Allgemeinen bediene ich mich vieler Methoden und Hilfsmittel: Stift und Papier, Text, mit Computer/Digital Audio Workstation, direkt an Trompete und Klavier, aber auch, indem ich Ideen einfach im Kopf durchspiele, ohne irgendwelche physische Hilfsmittel.« Ob er diese Ideen zu Kompositionen durchformt oder sie Inspirationen und Bausteine für Stegreif-Konzerte sind, ist zweitrangig. Entscheidend bleiben die Ideen, die Absichten, die man sich im Kopf zurecht gelegt hat. Sie verändern, »verformen« sich sofort, wenn sie den Kopf verlassen und physischer Klang werden, wenn sie auf einen Raum treffen, der widerhallt, auf ein Publikum, das reagiert, oder Mitmusiker, die interagieren. Dann beginnt etwas Neues. Das ist das Offene an Peter-Evans-Musik — und überhaupt an jedem gelungenen Konzert.
Aber worauf basieren seine Ideen? Vordergründig lässt sich das schnell sagen: Das Klangspektrum einer Trompete hält viel mehr bereit, als die (Jazz-)Tradition dieses Instrumentes überliefert hat; zeitgemäßer Jazz folgt nicht mehr den Abläufen von Thema-Improvisation-Thema. Darum also kreisen die Ideen des Peter Evans’, der sie aber nicht so prosaisch ausdrücken möchte, sondern: »Das Wichtigste ist: Hat die Musik Ausstrahlung? Hat sie Persönlichkeit, Charisma, Energie und klingt sie interessant?« Für ihn zählt nicht der Kanon, obwohl er Vorbilder hat, etwa Saxofonisten (!) wie Evan Parker und Anthony Braxton, die in den aufgewühlten 70er-Jahren akribische Klangforscher waren und die Improvisierte Musik über Jahrzehnte geprägt haben. Aber noch mal, zentral ist die individuelle, autonome Entscheidung, und die ist nicht — oder nicht mehr — an eine bestimmte Dynamik der Form gebunden. »Nicht jede Musik profitiert von improvisierten Elementen. Es kommt wirklich darauf an, was der Komponist oder Künstler will, und dass er die notwendigen Mittel einsetzt, um seine Vision zu verwirklichen. Manchmal kann die Improvisation dazu dienen, dieses Element der Ungewissheit hinzuzufügen, das die Musik wirklich lebendig werden lässt, um diesen letzten Schritt zu erreichen. In anderen Fällen müssen die Dinge ziemlich organisiert sein.«
Vielleicht überrascht es — nach dem bisher erzählten —, dass Evans vor allem Teamplayer ist. Ja, seine Solo-Konzerte sind spektakulär. Aber wenn er wissen will, wie seine Trompete klingt (die sich erst im Kontrast zu anderen Instrumenten entfaltet), wählt er den Kontext einer Band. Dann arbeitet er mit dem Live-Elektroniker Sam Pluta zusammen oder mit dem Vibrafonisten Joel Ross, einem der zentralen Protagonisten des jungen Schwarzen Jazz in New York, oder er trifft auf den Trompeter-Kollegen Nate Wooley. Mit Schlagzeuger Walter Weasel und Gitarristin Mary Halvorson hat er Highspeed-Free-Punk-Jazz gespielt. Sehr viele, sehr unterschiedliche Besetzungen. Weder verliert sich Evans in diesem Geflecht noch ist er Dominator, der immer so klingt, wie er klingt. Er findet immer wieder einen neuen Zugang, weil er es schafft, das enorme kompositorische wie technische Wissen, das er angesammelt hat, und die intime Kenntnis seines Instrumentes originell anzuwenden.
In seinem Kreisen um die Frage, was den Gehalt von Musik ausmacht, kommt Evans stets auf die persönliche Einstellung, die (Klang-)Biografie eines jeden Musikers zurück. Die lässt sich, sagt er, formal ausdrücken, ist keine rein emotionale Angelegenheit. So habe Anthony Braxton sich auf »sehr allgemeine ›Sprachtypen‹« bezogen, »die eine Art von Aktivität spezifizieren — Triller oder Staccato-Noten zum Beispiel«. Er habe sich mit all (!) diesen Spielsystemen auseinandergesetzt, um bei Bedarf auf sie zurückgreifen zu können. Man kann das totale Musik nennen. Bei Evans kommt dieser Terminus bemerkenswert unprätentiös und unaufgeregt selbstverständlich rüber.
Peter Evans auf der Jazzweek
Mo 2.9., Jaki, 20.30 Uhr
Extra: Elektroakustisches Trio mit dem Schlagzeuger Jim Black und dem Bassisten Petter Eldh
Di 3.9., St. Kunibert, 20 Uhr
Solo
Do 5.9., Stadtgarten, 21 Uhr
Umbra II: Quartett mit Elias Stemeseder, Christian Lillinger und Joe Sanders