Künstlerin in der eigenen Installation stehend: Olga Holzschuh, songs of conditions, 2024, Schwarze Erde, Aluminium, Kupfer. Foto: © liebschuh

Fotografie aufbrechen und hinfühlen

Die Kölner Künstlerin Olga Holzschuh über Brotjobs, ihre erste Monografie und die Kernintention der Fotografie

Wo treffen wir Sie gerade an, Olga Holzschuh?

Auf meiner dreimonatigen Residency in Istanbul im Zuge eines Stipendiums der Kunst­stiftung NRW. Ich recherchiere weiter zum Thema und Konstrukt »Europa und der Osten«.  Ich zeichne hier und schreibe. Letzteres ist immer mehr zum Teil meiner künstlerischen Praxis geworden. Für all das ist das hier gerade der perfekte Ort.

Wie entstehen die Themen und Formen Ihrer Kunst?

Meine künstlerische Arbeit entsteht durch genaues Hinsehen, Beobachten, Hin­fühlen. Darauf folgt ein intensives »Herausarbeiten« auf allen Ebenen.

Wie wichtig ist für Sie denn die theoretische Durchdringung eines Gegenstandes, dem Sie sich dann praktisch widmen?

Ich bin keine Theoretikerin, daher würde ich auch nicht »Durchdringung eines Gegenstandes« sagen. Ich bin Künstlerin, die sich mit Theorien beschäftigt. Das kommt bei mir eher von einer stark ausgeprägten Neugier, die nicht nur durch Beobachtungen und das (bereits beschriebene) Hinfühlen ausgelöst wird, sondern auch durch das Lesen. Zudem möchte ich Dinge besser (be-)greifen, sowohl auf der künstlerisch-praktischen als auch oft auf der theoretischen Ebene. Ich verstehe Theorie und Praxis als ein Ineinandergreifen, ein sich gegenseitiges Bedingen und Auslösen.

Darüber hinaus spielen auch chemische Reaktionen in ihren Arbeiten eine große Rolle: Woher stammt diese Auseinandersetzung mit solchen Prozessen?

Eine große Rolle spielen diese nicht. Es ist eher ein Teil der Auseinandersetzung mit fragilen, ephemeren Spuren und Beschäftigung mit den Variationen des Index, sowie deren Übertragung in verschiedenes Material bzw. in unterschiedliche Aggregatzustände. Aber ich glaube Ihre Frage nach der chemischen Reaktion zielt eher auf meine Arbeiten mit fotografischen Lösungen (Cyanotypie) und bildgebenden Abdruckverfahren (Transferprint von Fotografien auf Seife) ab.

Genau beim letztjährigen Festival der Internationalen Photoszene fielen Sie mit Arbeiten auf Glas auf. Laien­haft gesagt, haben Sie eine Art Foto des Rheins und seines Wassers erstellt. Wie entstand dieser Zugang zum Rhein und was verbirgt sich hinter der Technik genau?

Für die Arbeit »o.T. (3640 mm)«, eine ortsspezifische Installation, die ich damals in der Temporary Gallery gezeigt habe, habe ich die Emulsion der Cyanotypie auf drei Glasplatten »gegossen«. Die Abmessungen der aufeinander geschichteten Aluminum- und Glas-Platten, entsprechen der Größe der Deckenfenster der Temporary Gallery. Das Wasser, mit dem ich das Pulver für die Emulsion gemischt habe, stammt aus dem Rhein und wurde ungefiltert verwendet.

Ein kurzer Einwurf: In der Regel wird die grünliche Cyanotypie-Emulsion auf saugfähiges Material, wie Papier oder Stoff aufgetragen. Dann wird ein Objekt draufgelegt und mit UV-Licht (meist Tageslicht) belichtet.  Die belichteten Stellen reagieren und werden blau. Die Stelle, auf der das Objekt kein UV-Licht auf den Träger zugelassen hat, erscheint nach dem Fixie­rungs­­prozess (Ausspülen mit Wasser) weiß.

Aber zurück zu meiner Arbeit »o.T. (3640 mm)«: Die mit dem Rheinwasser gemischte Cyano­typie-Emulsion und der Lichteinfall im Ausstellungsraum verbinden zwei Orte und auch Ökosysteme miteinander und hinterlassen ­einen Abdruck, eine Spur auf den Glas- und Aluminiumplatten. ­Neben der Architektur und dem Licht spielt auch die Anwesenheit von Körpern im Raum eine Rolle beim Prozess. Je mehr Körper, umso wärmer im Raum und umso schneller trocknet die Emulsion auf den Platten, die hier wie kleine Seen aussehen. D.h. die Emulsion habe ich kurz vor der Eröffnung in die »Becken« gegossen. Ich mag solche Momente sehr. Die Begegnung mit den Besucher*innen, die Teil der Arbeit werden und hier insbesondere Teil der Performance, in dem sich die Umgebung »abdrückt«. Sie wird hier sichtbar und gleichzeitig flüchtig, brüchig und porös; fragil und unmöglich festzuhalten. Die Kernintention der Fotografie: Dinge bzw. Momente festzuhalten, werden hier aufgebrochen.

In den letzten Jahren gab es einen großen Diskurs zum Thema »Brotjobs«, also jene Arbeitsplätze, die künstlerisches Arbeiten ermöglichen — wie ist das Verhältnis zwischen Ihrer eigenen künstlerischen Produktion und der Dozierenden­stelle an der Universität? Gibt es da eine Primärarbeit oder verstehen Sie diese beiden Formen als verzahnt?

Primär bin ich Künstlerin — in dieser Rolle bin ich auch am Institut für Kunst und Kunsttheorie der Uni Köln tätig. (Auch wenn der Inhalt meiner Lehre immer eine Verschränkung zwischen Theorie und Praxis beinhaltet). Klar, ist es schwierig, die Balance zwischen der Teilzeitarbeit an der Uni und der eigenen künstlerischen Ausstellungspraxis und dem Arbeiten im Atelier zu halten.

Neben der Tatsache, dass die Dozierendenstelle mich auf vielen Ebenen bereichert, nutze ich vor allen Dingen die vorlesungsfreie Zeit umso intensiver für meine künstlerische Praxis.

Anfang des Jahres erschien Ihr erster Katalog, »hold on«, beim Distanz Verlag. Wie war die Arbeit an der Publikation für Sie? Haben Sie Ihr bisheriges Œuvre in diesem Zusammenhang nochmal Revue passieren lassen?

Der Künstler­katalog »hold on« zeigt nicht nur eine Auswahl meiner Arbeiten der letzten fünf Jahre, sondern arbeitet mit graduellen Übergängen von Fotografie, (Sprach-)Performance, Skulptur und Installation. Es zeichnet diese vor dem Hintergrund meiner künstlerischen Fragestellung im Medium Buch nach. Bereichert wurde dieses Buch durch Texte von Juliane Duft und Patrizia Dander, die beide präzise Worte für ihre Beobachtungen zu meinen Arbeiten gefunden haben.

Olga Holzschuh

lebt und arbeitet in Köln. Sie ist ungarisch-deutscher Abstammung, in dem multiethnischen Gebiet der Oblast Transkarpatien in der heutigen Ukraine geboren. Neben ihrer Tätigkeit als Künstlerin — sie stellte unter anderem in der Kunsthalle Münster, der König 2 / Galerie Christine König (Wien) und dem Eigen+Art Lab in Berlin aus — lehrt sie am Institut für Kunst und Kunsttheorie der Uni Köln »Künstlerische Praxis« mit dem Schwerpunkt Fotografie. Ihre Installation »songs of conditions« ist Teil der Simultanprojekte 2024.

6.–8.9., Offene Ateliers 2024, linksrheinisch Nord
u.a. im Kölnischen Kunstverein (mit Olga Holzschuh)

14.9., Simultanhalle, Volkhovener Weg 209–211, 12–22 Uhr:
Simultanprojekte Finissage, mit einer Performance von Olga Holzschuh