Afrika global
Ein schönes hellbraunes Haus mit großen Fenstern, umgeben von einer grünen Hecke, in einer ruhigen, gepflegten Straße: Besser hätte es eine Familie nicht treffen können, die in Ghana aus politischen Gründen verfolgt wurde, in die Niederlande geflohen ist und dort eine Ort zum Wohnen zugewiesen bekommen hat. Meint man. Doch während Mutter und Tochter ihr Glück kaum fassen können und ihren neuen Nachbarn mit einem breiten Lächeln entgegentreten, traut Vater Samuel dem Idyll nicht. Zuerst liegt da nur ein Hundehaufen im Vorgarten, bald sind es zwei, drei, viele. Und was hat es mit dem Gerumpel auf sich, das er nachts aus dem Untergeschoss vernimmt? Seine Frau wiegelt ab: Du wurdest in Ghana fertiggemacht und bist traumatisiert, entspann dich, hier bist du in Sicherheit. Aber da gibt es doch diese Redewendung: Nur weil du paranoid bist, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.
Nur weil du paranoid bist, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht hinter dir her sind
Afrikanisches Kino ist, das beweist das Afrika Filmfestival Jahr für Jahr, längst eine globale Angelegenheit. In »Paria« erleben drei afrikanische Figuren einen sehr europäischen Horror, Pate steht dabei ein amerikanischer Film. Regisseur Edson da Conceicãos und Drehbuchautor Philip Delmaar ließen sich offensichtlich von Jordan Peeles »Get Out«, einem Schlüsselfilm des modernen politischen Horrorkinos, inspirieren. Gleichzeitig prägen sie den Stoff mit ihrer eigenen Handschrift. Insbesondere überzeugt »Paria« als verqueres, durchaus humoristisches Selbstporträt der niederländischen Gesellschaft. Durch die Augen der Neuankömmlinge werfen wir einen anderen, verwunderten Blick auf die saturierte europäische Vorstadt-Welt — eine Welt, die schon lange bevor sich die Situation blutig zuspitzt, ihre alltägliche Selbstverständlichkeit verliert und eher nach einem bizarren Abenteuerspielplatz aussieht als nach einem heimeligen Zuhause.
Auch einer der herausragenden Dokumentarfilme des Programms hat interkontinentale Dynamiken im Blick. In von »Eat Bitter«, inszeniert von Pascale Appora-Gnekindy und Ningyi Sun, ist es Luan, ein chinesischer Arbeiter, der sein Herkunftsland verlässt — um in der Zentralafrikanischen Republik ein Bauprojekt zu betreuen. Sein Privatleben findet derweil praktisch nur via Videotelefonaten auf seinem Handy statt. Kontrastiert wird Luans Situation mit der von Thomas, einem einheimischen Familienvater, der sich als Sandtaucher durchschlägt — ein Knochenjob, ohne den Luans Baustelle lahm liegen würde. Der Film, gedreht in der Cinéma-vérité-Tradition ohne erklärenden Off-Kommentar, lässt nachfühlen, was es für konkrete Körper bedeutet, von der globalisierten Wirtschaft erfasst zu werden. Bei allen Härten, die die beiden Protagonisten durchstehen müssen, ist »Eat Bitter« ein deutlich optimistischerer Film als »Paria«. So unterschiedlich ihre Situationen auch sind, eint Luan und Thomas doch die Hoffnung, durch harte Arbeit sich und ihren Familien ein besseres Leben zu ermöglichen.
Wer noch tiefer in geopolitische Zusammenhänge einsteigen will, dem sei Billy Woodberrys »Mário« empfohlen: ein dichtes, aufwändig in diversen internationalen Archiven recherchiertes Lehrstück über Mário Pinto de Andrade, ein angolanischer Dichter und kommunistischer Politiker, der die Epoche der afrikanischen Dekolonisierung der 1960er Jahre entscheidend mitprägte. Vor lauter Namen, Konferenzen und Putschversuchen schwirrt einem alsbald der Kopf — und doch lohnt es sich, dranzubleiben. Nicht zuletzt, weil der Film Einblick gibt in eine alternative Geschichte der Globalisierung, eine, die nicht auf Optimierung von Lieferketten abzielt, sondern auf kollektive Emanzipation. Parolen wie »Proletarier aller Länder, vereinigt euch« mögen historisch desavouiert sein; die Utopie, der sie einst entsprangen, ist es wert, dass man sich an sie erinnert.
Genug Politik? Es finden sich auch ganz andere, leise, poetische Töne im Festivalprogramm. Zum Beispiel in »Behind the Mountains«, ein großartiger Film aus Tunesien über einen Mann, der fest daran glaubt, fliegen zu können; und der fortan sein Leben dieser Überzeugung unterordnet. Ein Film über ein Wunder, das denjenigen, der es erlebt, gleichzeitig beengt und befreit. Wir im Kino folgen seinem Weg gebannt und ringen mit unserem eigenen Unglauben.
Do 19.9.–So 29.9., div. Orte.
Infos: afrikafilmfestivalkoeln.de