»Wir wollen das Engagement feiern«: Judith Gauß und Rejane Radschinski

»Es ist total viel schon da!«

Am 7. September kommt der »Tag des guten Lebens« nach Kalk. Judith Gauß und Rejane Radschinki von Agora Köln im Gespräch

 

Frau Gauß, Frau Radschinski, vor elf Jahren hat Agora Köln den ersten »Tag des guten Lebens« veranstaltet. Wie hat sich die Veranstaltung seitdem verändert?

Gauß: Es ging damals wie heute darum, Stadtwandel erlebbar zu machen. Die Themen wie Klimaschutz, Bürger*innenbeteiligung oder Mobilitätswende haben noch dasselbe Gewicht. Auch dass die Nach­barschaft zusammenkommt, sich Vereine und Organisationen vernetzen, ist geblieben. Die Veranstaltung schafft einen Begegnungsort und kann so die nächsten Aktivitäten ins Rollen bringen. Im letzten Jahr sind in Nippes etwa eine Petition für eine Fahrradstraße und ein Tag des guten Lebens im Kleinformat entstanden. Neu ist in 2024, dass wir mit der Stadtteilkonferenz Kalk kooperieren, die das Kalkfest organisiert, und die Veranstaltung deshalb »Kalkfest trifft Tag des guten ­Lebens« heißt.

Die Veranstaltung kommt erstmals nach Kalk.

Gauß: Agora ist nicht ganz neu in Kalk. Wir hatten mit dem Projekt »Das gute Leben in den Veedeln« in den letzten zweieinhalb Jahren schon Vereine, Organisationen und die Anwohnerschaft zu Veedelstreffen eingeladen und durch Aktio­nen zusammengebracht. Der Ab­schluss des gesamten Projekts war das »Festival des guten ­Lebens« auf dem Ottmar-Pohl-Platz.

Wie waren die Reaktionen?

Radschinki: Viele Leute haben sich gefreut: Endlich kommt der Tag des guten Lebens auch mal zu uns! Es ist ein Unterschied, ob man irgendwo in der Stadt erlebt, wie sich Straßen verändern können — oder dort, wo man sich täglich bewegt. Einige kannten das Projekt noch nicht. Deswegen ist es so schön, dass der Tag des guten Lebens wandert.

Gauß: Manche Menschen waren  erst ein wenig skeptisch. Aber als sie verstanden hatten, worum es geht, war die Skepsis schnell weg.

Radschinski: Um das Format bekannt zu machen, haben wir im Vorfeld an verschiedenen Orten mit kleinen Aktionen gezeigt, wie man Straßenraum beleben kann, und dass wir den Menschen Raum geben wollen. Das hat die Leute in Kalk inter­essiert.

Einerseits gibt es in Kalk starkes Engagement und eine kreative Szene. Andererseits leben in Kalk viele arme Menschen, es gibt viel Drogenkonsum und Obdach­losigkeit.

Radschinski: Wir wollen das En­gagement feiern, das da ist, und neue Leute motivieren, mitzumachen. Manche haben nicht die Ressourcen, sich zu engagieren. Aber ich habe auch Menschen erlebt, die gesagt haben: Wusste ich gar nicht, dass es so was bei uns gibt. Wenn Engagement im Veedel sicht­bar wird, wissen Menschen, die sich engagieren wollen, wo sie damit anfangen können.

Was braucht Kalk?

Radschinski: Dass Engagement stärker wertgeschätzt und gefördert wird, auch von Politik und Verwaltung. In Kalk ist total viel schon da! Die Menschen wollen Sachen machen. Stadtentwicklung darf mutiger und experimenteller sein. Wichtig ist, faire Spielregeln zu entwickeln, damit sich alle Teile der Gesellschaft besser an der Stadtentwicklung beteili­gen können und die Engagierten nicht ausgebremst werden.

Ist Kalk auch der Versuch, mit dem Tag des guten Lebens dorthin zu gehen, wo man ein breites Engage­ment vor Ort nicht voraussetzen kann?

Gauß: Wir versuchen, da eine gute Balance hinzubekommen. Mal ein zentraleres Veedel, mal Veedel wie Kalk. Nippes oder Ehren­feld sind Klassiker für den Tag des guten Lebens. Viele Menschen haben schon im Vorfeld davon gehört oder waren sogar schon mal dabei. Was das Engagement dort nicht weniger wertvoll macht.

Radschinski: Für Kalk ist das ein schmaler Grad. Einerseits ist wichtig, dass Stadtpolitik und Stadtgesellschaft hier hingucken und sich für eine bessere Lebensqualität im Stadtteil einsetzen. Ande­rerseits schwingt im Stadtteil auch die Sorge mit, dass dadurch Lebenshaltungskosten wie Mieten ungehindert steigen.

Wie blicken Sie derzeit auf die Stadtentwicklungspolitik in Köln?

Gauß: Ich glaube weiterhin, dass sich Veranstaltungen wie der Tag des guten Lebens und aktuelle Stadtentwicklungspolitik gut ergänzen, um Menschen zusammen­zu­brin­gen und zu animieren, ihre Stadt selbst aktiv und von unten mitzugestalten.

Radschinski: Natürlich braucht es auch eine langfristige Stadtentwicklung. Aber Politik und Verwaltung können gar nicht so nah an den Menschen vor Ort sein. Es braucht bessere und dauerhafte Schnittstellen, vor Ort in den Veedeln. Da geht es um Nachbarschaft, um kleinere Initiativen — und darum, dieses Engagement möglich zu machen.


Kalkfest trifft Tag des guten Lebens
Sa 7.9., Kalk, 14 Uhr

Weitere Infos und Lageplan auf: ­tagdesgutenlebens.koeln

Stadtrevue beim Tag des guten Lebens: Auch wir sind dabei und freuen uns auf euren Besuch! Kommt zur Kalker Haupt­straße 178 und beteiligt euch an unserer Themenwand: Was treibt euch um und was soll aus eurer Sicht mehr Beachtung ­finden?