Die gendergerechte Stadt ist besser für alle !

Städte sind von Männern geplant — und das merkt man auch. Humangeographin Mary Dellenbaugh-Losse erklärt, wie man eine Stadt planen sollte, damit sie für alle zugänglicher wird, und wie

Gendergerechtigkeit dabei helfen kann

Frau Dellenbaugh-Losse, woran sieht man, dass eine Stadt von Männern für Männer geplant wurde?

Bis in die 70er Jahre war der Blick von Frauen auf Stadtplanung kaum vorhanden. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele städtische Räume neu geformt. Die modernen, autogerechten Städte dieser Zeit sind besonders ungeeignet, wenn man zum Beispiel Care-Arbeit mit bezahlter Arbeit kombiniert oder andere Verkehrsmittel nutzt als das Auto.

Nutzen Frauen Städte anders?

Sie gehen anders mit ihnen um. Frauen leisten zum Beispiel mehr Care-Arbeit. Die führt zu anderer Mobilität in Form von Wegekettung. Man verlässt das Haus, bringt das Kind in die Kita, geht von dort zur Arbeit, auf dem Rückweg holt man einen Liter Milch, bringt bei Oma Medikamente vorbei und holt dann das Kind ab. Diese Wege sind sehr komplex und dadurch charakterisiert, dass man Dinge irgendwo hinbringen muss und in Begleitung anderer Personen ist. Ein anderer Punkt ist: Die Statistik zeigt auch, dass Frauen nicht nur älter werden, sondern im Alter auch häufiger alleine in eigenen Wohnungen bleiben. Sie brauchen mehr altersgerechten, aber auch bezahlbaren Wohnraum. Denn wir wissen, dass das Rentenniveau von Frauen geringer ist und sie häufiger von Altersarmut bedroht sind.

Ein Schwerpunkt der gendergerechten Stadtentwicklung sind Angsträume.

Ein Angstraum ist zunächst ein Raum, von dem Menschen berichten, dort Angst zu haben. Man findet sie gehäuft in bestimmten räumlichen oder baulichen Typologien. In geschlossenen Räumen wie Tunnel oder an anonymen Orten wie Bahnhöfen. Weil Frauen im öffentlichen Raum und Nahverkehr häufiger Angst empfinden, nehmen sie längere Wege, um Orte, die sie als bedrohlich wahrnehmen, zu umgehen. In der Stadtplanung geht es dabei um das Bewusstsein für unterschiedliche Bedürfnisse. Wir müssen die Diversität der Menschen, die städtische Strukturen nutzen, besser abbilden.

Löst man mit gendergerechter Stadtplanung auch Probleme anderer marginalisierter Gruppen?

Die gendergerechte Perspektive ist ein Werkzeug, um bessere Städte für alle zu erreichen. Weil städtische Strukturen für eine sehr homogene Gruppe geplant sind, ist fast alles, was man verändert, ein Fortschritt für viele. Viele Menschen nehmen es ja gar nicht als Pro­blem wahr, wenn es irgendwo ein bisschen schmuddelig ist, die Beleuchtung nicht richtig funktioniert oder man Treppen steigen muss. Großstadtbewohner*innen sind stärker bereit, so was hinzunehmen. Wenn man aber die Barrierefreiheit verbessert oder Fußgänger*innen mehr Raum gibt, kommt das zwar bestimmten Gruppen explizit zugute, aber es profitieren alle — auch wenn sie nur eine Sportverletzung haben oder einen schweren Koffer tragen.

Das Thema Gender Mainstreaming gibt es seit Jahrzehnten in der Stadtplanung. Warum hat sich noch nicht viel getan?

Gender Mainstreaming ist ein Prozess. Das Thema ist in der Stadtentwick­lung bislang vor allem akademisch geblieben. Die Umsetzung durch Stadtplaner*innen oder Landschaftsarchitekt*innen hat lange gestockt. Das ändert sich gerade.

Wenn man Städte barrierefreier oder klimafreundlicher machen möchte, hört man oft das Argument, dass es schwierig sei, eine Stadt im Bestand zu verändern.

Es wäre ja schade, wenn man gendergerechte Stadtentwicklung nur auf der grünen Wiese umsetzen könnte. Natürlich ist es einfacher, wenn man etwa an die Breite von Bürgersteigen denkt oder an Kopfsteinpflaster, das schwer zu berollen ist. Aber im Bestand ist viel möglich, auch ohne großen Aufwand. Es ist zum Beispiel unglaublich, was schon eine andere Lichtfarbe oder ein weißer Anstrich in einen Angstraum bewirkt.

Wie hängt gendergerechte Stadtentwicklung mit kommunalen Zielen wie der Mobilitätswende oder dem Klimaschutz zusammen?

Man erreicht viele Ziele schneller, wenn man die Gender-Perspektive dazu nimmt. Frauen überwiegen zum Beispiel schon heute als Nutzer*innen des öffentlichen Personennahverkehrs in Europa. Was wäre da noch möglich, wenn man Angsträume bekämpft, die Taktung ändert oder mehr Raum für Kinderwägen und Gepäck schafft? Wenn man holistischer denkt, liegt darin unglaubliches Potenzial, komplexe Herausforderungen etwa in der Mobilität oder im Klimaschutz zu lösen.

Was muss man ändern, um bessere Städte für alle zu bauen?

Alles fängt bei der Partizipation an. Beteiligungsmöglichkeiten passen nicht zu den Lebensrealitäten vieler Menschen. Man muss häufig in einem Auslegeverfahren zu den Öffnungszeiten ins Rathaus kommen. Das ist für einen berufstätigen Menschen mit Care-Arbeit nicht zu machen. Wer abends zwei kleine Kinder ins Bett bringt, für den ist eine Veranstaltungen oder Sitzung am Abend unmöglich. Deshalb überwiegen bestimmte Stimmen bei den Beteiligungsverfahren: die pensionierter Männer mit hohem Bildungsgrad. Und wenn Beteiligung nicht repräsentativ ist, müssen zumindest Stadtplaner*innen stellvertretend für diese Stimmen sprechen. Dafür müssten sie wissen, was die Bedürfnisse der diversen Gruppen sind. Es fängt bei dem Bewusstsein an, dass eine Treppe ein Hindernis ist, auch wenn man sie selbst hochlaufen kann.

Sehen Sie die Gefahr, dass gendergerechte Städte bloß bessere Bedingungen für ungleiche Verhältnisse schaffen könnten?

Die Gefahr besteht, wenn man nicht sensibel an das Thema herangeht. Wir nutzen eine Skala, mit der wir die Normenkritik einer Maßnahme bewerten. Wir gehen von einem diskriminierenden oder genderblinden Raum aus und fragen, wie wir ihn verändern können. Ein Beispiel sind Frauenparkplätze in Parkhäusern. Parkhäuser sind typische Angsträume: dunkel, anonym, eingeschlossen. Wenn man Frauenparkplätze dann an den Ausgang eines Parkhauses setzt, kann das wiederum zu dem Stereotyp führen, dass Frauen dort Angst haben. Man kann Stereotype aber auch infrage stellen, indem man das Parkhaus hell anstreicht und helles Licht anbringt — am besten dort, wo die Menschen sind und nicht die Autos. Transformativ wäre, sich in einem nächsten Schritt z.B. das Gewicht von Brandschutztüren anzuschauen. Können kleinere Menschen Türen genauso gut aufmachen? Kann man das Treppenhaus von außen nach innen einsehen? Hat es Frischluft? Davon würden alle profitieren. Und vielleicht möchten dann mehr Menschen im Parkhaus parken. Dann werden die Flächen auf der Straße für etwas anderes frei.

Mary Dellenbaugh-Losse
ist Landschaftsarchitektin und promovierte Humangeographin. Mit ihrer Firma Urban Policy berät sie Städte und Kommunen. Am 3. Oktober erscheint ihr neues Buch »Gendergerechte Stadtentwicklung — Wie wir eine Stadt für alle bauen« (Springer Gabler, 221 Seiten, 60 Euro). Die gebürtige US-Amerikanerin lebt und arbeitet in Berlin.