Straight outta Taschkent

Zu welcher Musik die Sowjetunion getanzt hat, zeigt die Compilation »Synthesizing The Silk Road«

Als Nazi-Deutschland 1941 die UDSSR überfiel, ließ Stalin eilig 16 Millionen Menschen aus Südrussland in die zentralasiatischen Landesteile und Protektorate evakuieren. Die Evakuierten landeten in Tadschikistan, Kasachstan und Usbekistan — und einige waren gekommen, um zu bleiben. Zum Beispiel jene Elektrotechniker, die nach dem Ende des 2. Weltkriegs anfingen, in der damals noch pittoresken usbekischen Hauptstadt Taschkent die wichtigste Musik-Vinyl-Fabrik der UDSSR aufzubauen: die Tashkent Gramplastinok. Die Fabrik lief bis 1991 durch, presste fast eine Milliarde Platten, bot den Soundtrack des sowjetischen Lebens und brach zusammen, als dem Arbeiter- und Bauernstaat das gleiche Schicksal beschieden war. Die Bestände wurden damals eingeschmolzen, zerstört oder haben sich in alle Himmelsrichtungen verstreut. Vor ein paar Jahren machten sich findige Plattensammler*innen auf, einige dieser Bestände zu suchen und wieder herauszubringen.

Die Geschichte hinter der Compilation »Synthesizing The Silk Road« geht noch weiter, denn nicht alles, was in der Gramplastinok produziert wurde, gefiel den sowjetischen Apparatschiks und der Zensur. Stattdessen drohten bei zu viel Dissidenz, zu viel Westen in der Musik, Bestrafungen, Verfemung, Verbannung bis hin zum Gulag. Harter Tobak, aber auch nicht unbekannt. Das Leid der Beatles- und Stones-Fans in der DDR ist hinlänglich beschrieben worden. Dass es aber auch eine Synthesizer-Szene jenseits des Eisernen Vorhangs gab, das war hierzulande und im Rest Europas bislang ein weißer Fleck geblieben.

Die penibel recherchierte Auswahl auf dieser Compilation möchte das nun ändern — und es spricht wenig gegen den Erfolg. Die Stücke sind unheimlich keck, funny, groovy, richtig undogmatisch. Manch ein Stück (Opener »Aarezoo Gom Kardam« zum Beispiel) kann eine gewisse Nähe zum Anadol-Rock und den auch in Deutschland sehr populären Songs türkischer Diven nicht verhehlen, dann klingt es wiederum wie »straight outta Munich«, Weltdiscohauptstadt! Angelina Petrosovas »Tantsuyushchiy Ostrov« hätte 1981 mit seinem New Wave-Einschlag in italienischen Discos für Furore gesorgt, »Bu Nima Bu« von Original geht als belgischer New Beat durch. Eine geniale Compilation, die Lust auf mehr Entdeckungen dieser Art macht.

Album: Various Artists, »Synthesizing The Silk Roads: Uzbek Disco, Tajik Folktronica, Uyghur Rock & Crimean Tatar Jazz From 1980s Soviet Central Asia«, Ostinato Records/Kudos, erscheint am 30.8.2024