Den Schädel lüften
Die Festivalwelt hat sich in den letzten Jahren merklich gewandelt, was man vor allen Dingen an Veranstaltungen wie dem Fantasy Filmfest merkt: Wo früher im Wesentlichen Genre als Selbstzweck gefeiert wurde, läuft nun alles Mögliche — wenn’s nur arg düster ist, passt’s schon ins Programm.
»Skunk«, Koen Mortiers Szenen einer einfach nur schrecklichen Jugend, ist eigentlich ein ganz klassisches Sozialdrama bar aller Genreaspekte, findet sich aber hier, weil seine breit ausgestellte Hoffnungslosigkeit sowie die zum Teil wirklich arge Brutalität einzelner Szenen es mit jedem ultratrüben Slasher aus den 70er Jahren aufnehmen kann.
Sarah Gyllenstiernas »Hunters on a White Field« ist wiederum Edel-Arthouse-Handwerk mit Apokalypse-Vibes. Adilkhan Yerzhanovs ebenfalls in einer Endzeitwelt situierter »Steppenwolf« versucht nicht weniger, als actiondicht Hermann Hesses gleichnamigen Roman für den Kunschtkinomarkt zu paraphrasieren. Ariane Louis-Seizes »Humanist Vampire Seeking Consenting Suicidal Person« ist eine Romcom für Goths.
Früher wäre von all diesen Filmen wahrscheinlich nur letzterer in diesem Kontext gelaufen, wohingegen der Rest entweder als Skandalon den Rand von A-Festivals verunsichert hätte oder gar nicht erst produziert worden wäre. Will sagen: Mittlerweile definiert auch hier der soziale Distinktionsdrang die Auswahl. Was Multiplexverankertes wie Nikhil Nagesh Bhats auf reines Remmidemmi kalibrierter »Kill« oder Soi Cheangs Kampfkunst-Superspektakel »Twilight of the Warriors: Walled In« dazwischen merkwürdig unschuldig wirken lässt — wie einer anderen Welt und Kunst entsprungen.
Andererseits haben sich genau wegen dieser Tendenz Festivals wie dieses zu den interessanteren Veranstaltungen gemausert, da sie oft experimentierfreudiger sind, sich formal mehr nebeneinanderzudenken trauen als andere Festivals. Und sei es auch nur, weil hier »Skunk« und »Kill« auf einer Höhe laufen, nicht segregiert nach Sektionen, als gleichwertige Versuche in Sachen Weltsicht. Hier gibt es nicht diese falsche Sicherheit, hüben Wettbewerb, drüben Mitternachtsgaudi, hier das kulturell Wertvolle und da der per se niedere Spaß. Das lüftet den Schädel dann doch schon mal, sorgt zumindest für leichte Perspektivverschiebungen. Und dafür ist das Kino als solches ja da: dass man die Dinge anders sehen kann, als sie sich einem beim Blick aus dem Fenster so darstellen.
Mi 18.9.– Mi 25.9., Residenz
Infos: fantasyfilmfest.com