Haariges Geheimnis: Nadia Tereszkiewicz, Benoît Magimel

Rosalie

Stéphanie di Giusto erzählt die Geschichte einer ­genderfluiden Person im 19. Jahrhundert

Eine Ehe nicht aus Liebe, sondern aus ganz praktischen Erwägungen: Weil dem versehrten Kriegsheimkehrer Abel mit seiner schlecht laufenden Dorfkneipe und den wenigen Aufträgen als Tierpräparator die Schulden über den Kopf wachsen, hat er gegen den Erhalt einer stattlichen Summe und reichlich weiterer Mitgift zugestimmt, eine Unbekannte zu heiraten. Das Geschäft hatte der Vater der Braut eingefädelt, in der Hoffnung, so seine Tochter Rosalie versorgt zu wissen, mit allem Wenn und Aber. Denn die junge Frau ist zwar hübsch, gebildet und fleißig, aber sie hat auch etwas zu verbergen, das der nichtsahnende Abel erst in der Hochzeitsnacht zu Gesicht bekommt.

Seit ihrer Kindheit leidet Rosa­lie an extremer Körperbehaarung. Voller Wut und Abscheu fordert Abel zunächst, dass sie den Hof verlässt. Doch Rosalie bleibt und versucht bald, sich nützlich zu machen. Auch wenn das heißt, sich einen Bart wachsen zu lassen, um so die neugierigen Dorfleute ins Wirtshaus zu locken. Und die kommen, staunen und konsumieren. Der Laden brummt. Doch der Reiz des Fremden nutzt sich bald ab und im Dorf wächst die Ablehnung.

Die französische Filmemache­rin Stéphanie de Giusto basiert ­ihren Film auf der wahren Lebens­geschichte von Clément Delait (1865-1939), die in ihrem ­Dorf in Lothringen ein Café betrieb und mit selbstverkauften Fotografien und Postkarten als »Frau mit Bart« zu gewisser Berühmtheit gelangte.

Di Giusto verlegt die Geschich­te in ein bretonisches Dorf um 1870, das von Barcelin, dem Besitzer der  Textilfabrik, wie ein Despot beherrscht wird. Von Rosalie ebenso fasziniert wie irritiert, weist er ihren Freigeist in Schranken. Nadia Tereszkiewicz verkörpert diese Frau mit einer Mischung aus Stolz und Zerbrechlichkeit, Naivität und Kampfgeist. Erklärungsversuche überlässt der Film den Figuren in ihrem Umfeld, die mit dem ihnen zur Verfügung ­stehenden Wissenshorizont eine Hormonstörung vermuten, wie der sie untersuchende Arzt, oder ihr gleich das Frausein absprechen, wie ein Teil der prüden Dorfgemeinschaft.

Doch so sehr di Giusto damit das Porträt einer genderfluiden Person zeichnet, die sich Regeln und Schönheitsidealen entzieht und um Anerkennung kämpft, ist ihr Historiendrama doch erstaunlich konventionell und brav geraten.

F 2023, R: Stéphanie di Giusto,
D: Nadia Tereszkiewicz,
Benoît Magimel, ­Benjamin Biolay,
115 Min. Start: 19.9.