Auch von Köck: »Eigentum« am Schauspiel Köln

Scheißverhältnisse

Mit dem Dramatiker Thomas Köck durch ein quälendes Jahr Weltpolitik

Wahrscheinlich war niemandem klar, wie weh das tun würde: ein Jahr lang die österreichische Politik verfolgen, ein Jahr lang dokumentieren, wie mit Herbert Kickl ein rechtsextremer Spindoctor in Richtung Kanzlerschaft strebt, ein Jahr lang analysieren, was alles falsch läuft, also menschenfeindlich läuft, in Österreich, in Europa, in der Welt. Das Buch »Chronik der laufenden Entgleisungen« ist ein Auftragswerk der Schauspielhäuser Graz und Wien, das den Dramatiker Thomas Köck an seine Grenzen gebracht hat.

Nach nur vier Monaten Chronik, in denen Köck nicht einfach Schlagzeilen dokumentiert, sondern alles recherchiert und analysiert, steht da plötzlich: »Es ist von allem jetzt zu viel, während ich mitnotiere.« Das Lachen ist ihm abhanden gekommen. Und weiter: »Ich habe Angst, dass das hier ein Dokument des neuen Biedermeiers wird, ein enggeführter Blick auf die Scheißverhältnisse in Österreich, während jüdische Menschen enthauptet werden, in Berlin antisemitische Demos eskalieren, parallel dazu antimuslimischer Rassismus wieder aufflammt, die Kommentarspalten in Flammen.«

Die Angst ist verständlich. Aber Köck ist ein Autor, der zum Biedermeiern, zum Denken in gemütlichen Verkürzungen nicht fähig ist. Er schreibt weiter, mit Lücken, bis zum Juni 2024, scannt beharrlich Boulevard, Kommentarspalten und Nachrichten — seziert die Rhetorik in Politik und Medien zum Ukrainekrieg ebenso wie zu Abschiebungen, Femiziden, Nahost oder dem Prozess gegen Ex-Kanzler Kurz. Für ihn lässt sich der »Herbertkomplex« rund um den FPÖ-Spitzenkandidaten Kickl ebenso wenig isoliert betrachten wie anderen Fragen. Schließlich gibt es so etwas wie Klassen, Herrschaft, Ausgrenzung, Kapitalismus.

Wie in seinen Stücken, zuletzt »Eigentum« am Schauspiel Köln, zeigt Köck auch hier konsequent systemische Zusammenhänge auf. Ein Beispiel: Der selbst erlebte Klassismus führt ihn zur mangelnden Solidarität zwischen Proletariat und Bäuer*innen, zur Märzrevolution von 1848, zur Verschuldung der Landbevölkerung, zum ökonomische Zwang zu Monokulturen, zur Klimakatastrophe und deren Leugnung durch Rechtspopulist*innen.

Die »Chronik« ist keine entspannte Lektüre. Sie ist sprunghaft, fast manisch ehrlich und quälend unruhig, weil Ruhe eben nicht möglich ist, wenn man die Welt um sich ernst nimmt. Sicher hätte ein strengeres Lektorat, gerade im ersten Teil, dem ausufernden Buch gut getan. Aber als Einladung zum Weiterdenken, auch wenn es weh tut, lohnt es sich extrem. 

»Chronik der laufenden Entgleisungen«, Suhrkamp 2024, 368 Seiten, 26 Euro