Nicht in Ehrfurcht erstarren
Im August stellte das Landgericht Köln das letzte noch offene Verfahren zum Einsturz des Stadtarchivs ein. Das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung sei gesunken, so das Gericht. Ein Argument, das Günter Otten in Rage bringt: »Das ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer«, so der Sprecher der Initiative Archivkomplex.
Zwei Menschen starben, als am 3. März 2009 beim Bau der Nord-Süd-U-Bahn das Historische Archiv einstürzte. Archivgut aus zweitausend Jahren Stadtgeschichte wurde verschüttet. Ein Strafverfahren förderte zutage, dass Pfusch beim Bau einer Schlitzwand für die U-Bahn die Ursache war, zwei Angeklagte erhielten Bewährungsstrafen. Doch der Bundesgerichtshof hob das Urteil 2021 auf — unter anderem, weil Organisationsmängel auf der Baustelle nicht ausreichend aufgeklärt worden seien. Doch nun gab das Landgericht bekannt, man werde das Verfahren eben nicht neu aufrollen — sondern gegen Geldauflagen einstellen. »Skandalös«, findet Günter Otten von Archivkomplex. »Es geht uns nicht um ein höheres Strafmaß für die Angeklagten. Aber die Aufgabe von Rechtsprechung ist es doch auch, die Verantwortlichkeiten auf der Baustelle zu benennen.« Das wird nun nicht passieren.
Die Initiativen Archivkomplex und Köln kann auch anders hatten sich nach dem Einsturz gegründet, weil sie Aufklärung forderten, und dass jemand Verantwortung übernimmt. Der Ärger über die Einstellung des Verfahrens ist nun auch deshalb so groß, weil vieles gar nicht erst vor Gericht landete — Missstände bei KVB und in der Stadtverwaltung, die das Desaster aus ihrer Sicht erst ermöglichten. Dass die KVB sich als Bauherr selbst überwachte, dass niemand Hinweisen auf Risse im Archiv nachging, oder wie Baufirmen unbemerkt 23 Brunnen bauen konnten, um Grundwasser abzupumpen, obwohl das Umweltdezernat nur vier genehmigt hatte — all dies wurde vor Gericht nie verhandelt.
Dafür kommen sie nun einem anderen Ziel näher: Einem anderen Umgang mit der Einsturzstelle, die noch bis mindestens 2031 Baustelle bleiben wird. Vor rund zwei Jahren hatte Oberbürgermeisterin Henriette Reker mit den Initiativen beschlossen, dass eine »Projektwerkstatt« unter Beteiligung von Initiativen und Verwaltung neue Perspektiven für den Waidmarkt entwickeln sollte. Damit begrub man auch frühere Pläne, die einen Zeilenschluss und einen Gedenkort im Innenhof vorsahen — Archivkomplex hatte dies stets als banal und unwürdig kritisiert. Ende August stellten Vertreter der Projektwerkstatt schließlich ein neues Konzept für den Waidmarkt vor: Auf dem Archivgelände, in dessen Nachbarschaft sich drei Schulen befinden, soll eine »kulturelle Bildungslandschaft« entstehen. »Der Ort soll der Bildung und Zukunft der nachwachsenden Generationen gewidmet sein«, sagt Kay von Keitz, Vorsitzender des Kunstbeirats, der das Konzept mit ausgearbeitet hat. Es müsse an den Einsturz erinnert werden. »Aber statt ehrfürchtig vor einem Mahnmal zu stehen, wollen wir ein aktives Erinnern ermöglichen, man soll sich mit Fragen von Demokratie und Verantwortung beschäftigen.«
Wir wollen ein aktives Erinnern ermöglichenKay von Keitz
Wie dies konkret aussehen soll, darüber soll ein mehrstufiger »Werkstattprozess« befinden, an dem sich auch die Zivilgesellschaft beteiligen soll. In jedem Fall solle der Ort öffentlich zugänglich sein, mit urbanem Charakter. Eine vollständige Überbauung oder aber eine einfache Freifläche »würden wir nicht empfehlen«, so von Keitz. Damit zielt er auch auf den Vorschlag einer Initiative, die auf der Fläche fünfzig Bäume pflanzen und sie ansonsten frei halten will. Im nächsten Jahr soll es einen Ratsbeschluss geben. Das Geld dafür ist jedenfalls da: Bei einer außergerichtlichen Einigung wurde vereinbart, dass die am U-Bahn-Bau beteiligten Baufirmen der Stadt 600 Mio. Euro zahlen; 4,8 Mio. davon sind für »künstlerisch-kulturelle Antworten zur Erinnerung an den Archiveinsturz« vorgesehen. Nachdem Pläne für eine unterirdische Veranstaltungshalle gescheitert waren, soll nun die Projektentwicklung am »Neuen Waidmarkt« aus diesem Topf bezahlt werden. Den Anfang macht Ende Oktober die Künstlergruppe »Observatorium« aus Rotterdam, die mit Anwohnern und Schulen gemeinsamen einen »neuen Blick auf die Situation« werfen soll. Man brauche dringend neue Impulse, sagt Kay von Keitz. »Durch die ritualisierte Betroffenheit bei den Jahrestagen des Archiveinsturzes und das symbolische Beklagen droht eine Erstarrung. Wir wollen jetzt aber endlich aktiv werden und ein zukünftiges Stück Stadt entwickeln.«