Unkraut, kulinarisch

Welche essbaren Pflanzen wachsen in der Stadt? Die Antwort gibt jetzt eine bibliophile Box

Ein Leporello mit 19 heimischen Gewächsen, eine Mappe mit Fotografien der einzelnen Pflanzen, eine Rezeptsammlung und ein dreißigseitiges Essay, das sich mit dem Sammeln von Beeren befasst, dazu ein Plakat mit den Fundstellen in der Stadt und ein Herbariums­blatt mit getrockneter Pflanze — all das steckt in einer auf 500 Exemplare limitierten »Herbarium«-Box. Für kulinarisch Interessierte soll es eine kleine Schatztruhe sein, die man jetzt für knapp hundert Euro kaufen kann. Entworfen haben sie die beiden Sterne-Köche Tobias Becker und Jan C. Maier vom Restaurant Maibeck, zusammen mit der Fotografin Jennifer Braun und dem Autor Johannes J. Arens. Ein knappes Jahr ­waren sie dafür in der Stadt unterwegs, in Parks oder im Stadtwald.  

Bevor er die »Herbarium«-Box öffnet, legt Arens einige Stängel Dost auf den Tisch im Maibeck-Restaurant. Den Wilden Oregano, wie Dost auch genannt wird, habe er eben noch auf dem Weg ge­sammelt, erzählt er. Koch Tobias Becker zerreibt einige der Blätter zwischen den Fingern — der typische Geruch des Küchenkrauts entfaltet sich. »Für uns ist wichtig, dass die Pflanzen nicht nur essbar, sondern eine kulinarische Bereicherung sind«, sagt Becker und erzählt, dass er und sein Kompagnon Maier auf regional erzeugte Zutaten und ihre saisonale Verfügbarkeit setzen. Wozu auch außer­gewöhnliche Obst- und Gemüse­sorten sowie wilde Kräuter gehören. Für die beiden gehöre das zum Wesen ihres Restaurants. Deshalb greifen sie beispielsweise auch auf Sauerkirschen aus Schrebergärten zurück, da die im Handel gar nicht angeboten werden. »Im Frühjahr werden wir langsam nervös, nach den Kohl-Monaten des Winters wollen wir dann wieder frische Zutaten haben.«

Inzwischen hat Arens den Inhalt der Box vor sich ausgebreitet und erzählt, dass sie die aufwändige Handarbeit beim Packen der 500 Boxen unterschätzt hätten. Wobei das Einkleben und Beschriften der getrockneten Blüten und Blätter auch sehr meditativ sei und eben jede Box zu einem Unikat mache. Die Kurzbeschreibungen der Pflanzen umfassen  Vorkommen, Verwendung, Erntezeit, aber etwa auch die Verwechslungsgefahren von Bärlauch über Hagebutte und Holunder bis Weißklee. »Eine einfache Regel lautet: Wenn es nicht lecker riecht, esse ich es auch nicht«, sagt Arens. Doch trotz der Kenntnisse, die ihm Mutter und Großmutter vermittelt hätten, nutze er beim ­Sammeln von Wildpflanzen ­sicherheitshalber auch ein Bestimmungsbuch und eine App.

Beim Spaziergang schaut man häufiger zu Boden, was gerade blüht, oder in den Baum, ob die Früchte reif sindTobias Becker, Restauarnt Maibeck

Für die Fotografien hat Jennifer Braun in ihrem Studio eine Art Bühne für die Pflanzen gebaut, um sie in Szene zu setzen. Mit altmeisterlicher Lichtsetzung soll die Schönheit der Pflanzen zur Geltung kommen. Die Rezeptkarten sind keine klassischen Koch- oder Backrezepte mit Mengenangaben, Zubereitungsschritten und Garzeiten. Vielmehr sollen sie — mit Ringbindung und abwasch­­barer Oberfläche — dazu ermuntern, die Pflanzen in der Küche zu verarbeiten. »Bei Wildpflanzen ist die Ernte jedes Jahr unterschiedlich. Waren im letzten Jahr die Brombeeren gut, sind es jetzt eher Mirabellen«, sagt Tobias Becker und ergänzt, dass die Rezeptkarten immer ein frisch zubereitetes Gericht und ein haltbares Produkt vorstellen. Denn zur Saisonalität gehöre auch, sich mit der Haltbarmachung von Zutaten auseinanderzusetzen, so Becker. »Wildkräuter wie der Dost können Öle oder Essige aromatisieren. Viele Pflanzen sind altbewährte Heilkräuter, andere werden durch die kreative Verwendung in der Küche aufgewertet, wie bei unserem Brennnessel- oder Sauerampfer-Eis.« Man werde durch die Beschäftigung mit dem Thema viel sensibler. »Beim Spaziergang schaut man häufiger zu Boden, was gerade blüht, oder in den Baum, ob die Früchte reif sind.«

Zum Schluss schlägt Arens noch einen Abstecher zum Alten Friedhof in Deutz und dem benachbarten Pyramidenpark vor. Kornelkirschen, Schafgarbe, Wegwarte, Malven, Wolfskraut und auch wieder der Dost säumen den Weg — für die meisten Unkraut, doch eigentlich Grundlage für das nächste Gourmet-Menü.

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