Die Kunst der Beunruhigung
Schwer zu entscheiden, wo man bei der Vermessung des Schaffens von Christina Friedrich beginnen soll. Ihr aktueller Spielfilm »Zone« ist eine Variation über ihren Roman »Keller« von vor drei Jahren. Er bildet eine Facette ihrer Arbeit ab, in deren Gefühls- und Gedankenwelt alles steckt, was Friedrich an- und umtreibt: das eher assoziative Erzählen in wirkmächtigen Bildern, die Liebe zu archaischen Gesten mit einem Hauch von Science Fiction oder Fantasy, die Bedeutung von Landschaften als Charakteren. Hinzu kommt eine existenzielle Verankerung in den Erinnerungen an die DDR, in der sie geboren wurde und aufwuchs — und in deren Kultur. So führt Friedrich eine Ästhetik und Haltung fort, wie man sie in mittlerweile kaum mehr bekannten Abweichungen des DEFA-Kinos wie den Werken von Ulrich Weiß oder Herwig Kipping findet. Vielleicht noch im Underground-Frühwerk von Thomas Frydetzki oder den Künstlerfilmen von Cornelia Schleime. Gemeint ist ein Kino von Bildern und Situationen, die so klar sind, dass sie sich allzu konkreten Zuschreibungen entziehen — eine Kunst der Verweigerung wie der Beunruhigung.
Diese Kunst findet man auch auf der Bühne, in Christina Friedrichs Theaterproduktionen von William Shakespeares »Der Sturm« oder Maurice Maeterlincks »Der blaue Vogel«. Letzterer weist allerhand Parallelen mit »Zone« auf, und als Erzählung des Reifungsprozesses zweier Mädchen scheint er überhaupt mit vielen Werken Friedrichs verwandt — angefangen bei ihrer mit Alexa Hennig von Lange erarbeiteten Bühnenfassung von Russ Meyers »Faster! Pussycat! Kill! Kill!« über ihre Inszenierung von Lukas Bärfuss’ »Die sexuellen Neu-
rosen unserer Eltern« bis hin zur Bearbeitung von Charlotte Roches »Feuchtgebiete«.
Ihr Elan und ihr Experimentierwille sind das Beste, was dem hiesigenKino seit langem passiert ist
Wenn in »Zone« eine junge Frau mit parapsychologischen Gaben einer geschlossenen Anstalt entkommt und sich umfassender Überwachung entziehen will, dann sind mit der Institution viele Normierungssysteme gemeint. Es scheint die antifaschistische Tradition der DDR durch, vielleicht aber auch ein Unbehagen an der neoliberalen Disziplinierungswut der Berliner Republik der Gegenwart. Wenn das Mädchen aus »Zone« schlank und stolz in Unterwäsche mit knallblauen Kniesocken auf einer Stele vor einem strahlend wolkigen Himmel steht, wirkt es wie die Punk-Version einer Statue des sozialistischen Realismus. Wenn sie eins wird mit einer zerklüfteten Erde, werden Massen an Heimatmythen im Zeichen industrieller Verheerungen beschworen.
1988 debütierte Christina Friedrich als Theaterregisseurin, bald auch Dramatikerin, und seit 2000 ist sie in der Lehre tätig, unterrichtete Schauspielregie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch sowie Bühnen- und Kostümbild an der TU Berlin. 2008 erschien ihr Romandebüt »Morgen muss ich fort von hier«. 2020 brach sie mit dem Einstünder »Hurensöhne: Ein Requiem« auf in die Welt des Kinos. Dass es viele Verbindungen, Synchronizitäten, Schwingungen und Echos zwischen diesen Feldern gibt, versteht man, wenn man registriert, wie viele ihrer Arbeiten sich um junge Menschen drehen — ob Kinder, Teenager oder Twens. Oder wie viele ihrer Theaterproduktionen auf Filmen basieren. Das gilt wohl auch für Fälle wie ihr Stück »Fightclub«, das zwar offiziell auf Chuck Palahniuks gleichnamigen Roman von 1996 fußt, aber doch wohl nachhaltig von David Finchers Verfilmung angetrieben sein dürfte. Bezeichnend ist allerdings auch, dass sich Christina Friedrich vom Theater zurückgezogen hat und sich nun auf die Literatur und das Kino konzentriert. Alles nebeneinander geht anscheinend nicht.
»Zone« ist nicht Friedrichs aktuellste Arbeit: »Die Nacht ist dunkel und kälter als der Tag«, in dem dreißig Kinder aus ihrer Geburtsstadt Worte finden für die schwarzen und grauen Augenblicke ihres Lebens, harrt seiner Uraufführung. Und das nächste Projekt ist auch schon in Planung. Friedrich arbeitet mit bescheidenen Mitteln, zum Teil aus der Kunstunterstützung, statt aus der Subventionsfilmindustrie heraus. Man kann nur hoffen, dass sie mit diesem Elan und ihrem Experimentierwillen, die zusammen genommen so ziemlich das Beste sind, was dem hiesigen Kino seit langem passiert ist, weiter ihren Weg findet.
D 2024, R: Christina Friedrich, D: Kea Krassau, Rosa Wassermann, Gina Haller, 130 Min., Start: 3.10.