The Beast
»The Beast« hat dem Production Design sichtlich Aufwand abgefordert. Der Film mischt drei Handlungsebenen zu verschiedenen Zeiten und an unterschiedlichen Orten. Doch der eindrücklichste Moment besteht in der Großaufnahme eines stummen, leeren Blicks: Mit diesem zehn Sekunden langen Starren beantwortet die Pianistin Gabrielle die Frage, welcher Gesichtsausdruck das Modell für die Puppen der familieneigenen Puppenmanufaktur abgibt.
Léa Seydoux als Gabrielle setzt die verstörend neutrale Miene aus dem Stegreif auf — das ist hohe Schauspielkunst. Zumal, wenn man Regisseur Bertrand Bonello glaubt, dass dieser Close-up nur eines einzigen Takes bedurft habe. Dieser besondere Augenblick hat eine spezielle Wirkung: Er setzt jeden sonstigen Gefühlsausdruck in dem um Emotionen und deren Abwehr, um Verdrängung und Vergessen kreisenden Film in distanzierende Anführungsstriche. Dasselbe gilt für die Außenwelt, die drei Versionen Gabrielles sowie eines von George MacKay verkörperten Mannes namens Louis umgibt. »The Beast« ist 1910 in Paris, 2014 in Los Angeles und 2044 in einer unbestimmten Großstadt angesiedelt.
Im Los Angeles des Jahres 2014 versucht Gabrielle, als Filmschauspielerin Fuß zu fassen, während sie für 1000 Dollar plus Logis die modernistische Villa eines abwesenden Geldsacks hütet. Insofern nimmt besagte Anfangsszene von »The Beast« eine Erfüllung dieses Karrierewunschs vorweg, denn sie zeigt Gabrielle bei Dreharbeiten zu einem Horrorfilm. Allerdings agiert sie, während aus dem Off Regieanweisungen erklingen, vor einem Green Screen, also einem völlig neutralen Hintergrund, der digitaler Postproduktion das nachträgliche Einfügen jede beliebige Kulisse und Requisite erlaubt. Das sät Zweifel am Realitätsgehalt jedes weiteren Bildes, und diese Zweifel scheinen sich bald zu bestätigen.
Der eindrücklichste Moment ist die Großaufnahme eines stummen, leeren Blicks
Abgesehen von wiederkehrenden Namen und Gesichtern sowie symbolträchtigen Motiven wie den Puppen, ergibt sich die Verbindung der Handlungsebenen vor allem aus dem 2044 angesiedelten Geschehen: In der ebenso sterilen wie dumpfen Zukunftswelt hat Künstliche Intelligenz hohe Arbeitslosigkeit verursacht, während die verbliebenen Beschäftigungsmöglichkeiten stupide Monotonie bedeuten oder eine Operation voraussetzen, die die Arbeitenden von allen Gefühlen »reinigt«. Dass dabei traumatische Erinnerungen an frühere Existenzen wachgerufen werden können, impliziert eine Seelenwanderung, die offenbar mit anhaltenden Seelenverwandtschaften einhergeht.
Metaphysische Schlussfolgerungen überlässt der 56-jährige Filmemacher, der wie gewohnt auch das Drehbuch verfasst hat, unserer Fantasie, ebenso wie das Knüpfen thematischer Zusammenhänge, die sich vor allem aus der frühesten Handlungsepisode beziehungsweise deren literarischer Vorlage ergeben. Das anfängliche Wiedersehen der Pianistin mit einem Bekannten bei einer großbürgerlichen Abendgesellschaft basiert auf Henry James’ Novelle »Das Tier im Dschungel«, die auch dem gleichnamigen Film von Patric Chiha zugrunde liegt. Dem von James übernommenen Handlungsfragment dient hier die Pariser Überschwemmung von 1910 als Hintergrund, die auch auf eingeschobenen Dokumentarfotos abgebildet ist.
Der konkrete historische Inhalt lässt Assoziationen an den Klimawandel ebenso reizvoll ins Leere laufen, wie der romantische SciFi-Topos drohender Gefühlsverarmung sich einer Munitionierung für die notwendige Kritik des KI-Booms verweigert. Umso verblüffender, wie direkt Bonello auf einen anderen akuten Konfliktstoff Bezug nimmt: Die männliche Hauptfigur der 2014er Zeitebene ist, inklusive nachgestellter Social-Media-Videos, dem Amokläufer Elliot Rodger nachempfunden. Ausgerechnet in einem sogenannten Incel, dessen unfreiwillige sexuelle Enthaltsamkeit und Frauenhass in sechsfachem Mord mündeten, sieht er die einst von James in seiner Novelle beschriebene, tragische Unfähigkeit zur Liebe gespiegelt — das ist gewiss naiv. Doch unter den abstrakten Vorzeichen eines eigensinnig verstiegenen Films kann diese schwärmerische, die Liebe bejahende Pointe zumindest aufs Kinopublikum entwaffnend wirken.
(La Bête) F/CDN 2023, R: Bertrand Bonello, D: : Léa Seydoux, George MacKay, Guslagie Malanda, 146 Min., Start: 10.10.