In Essen geht die Sonne auf: International Music

Kein Dogma, kein Blabla

Das Essener Trio International Music beweist sich als spannendste Indierock-Band des Landes

Was für ein Output: Seit 2018 haben Peter Rubel (Gesang/Gitarre) und Pedro Goncalves Crescenti (Gesang/Bass) mit ihren beiden Forma­tionen International Music und Düsseldorf Düsterboys bereits fünf Alben veröffentlicht. »Die besten Jahre«, das Debüt­album von International Music hat sogar eine Laufzeit von 80 Minuten! Schreibblockaden kennen die Musiker offenbar nicht. Im Gegenteil: Alles scheint sich im Fluss zu befinden. Mitnichten handelt es sich bei der Musik um spontan dahingejammte Skizzen, sondern um gediegene Wertarbeit mit fantasievollen Songs. Sie umschiffen elegant alle hiesigen Deutschrock-, Hamburger-Schule- und Befindlichkeitspop-Klischees und ihre Einflüsse aus verschiedensten, teils bipolaren Quellen beziehen — sei es Post-Punk, 60s-Psychedelia, Zuckerpop oder alter deutscher Schlager.

Nun ist mit »Endless Rüttenscheid« also der dritte Longplayer von International Music erschienen, der Formation, bei der die beiden eher folkig orientierten Düsterboys Peter und Pedro mit Schlagzeuger Joel Roters zum Rocktrio werden. Eine für die Musiker entscheidend andere Konstellation, die es nötig macht, beide Projekte strikt zu trennen. »Wir haben damals Joel gefragt, ob er bei uns Schlagzeug spielen möchte, obwohl er nicht ein Mal in seinem Leben am Schlagzeug gesessen hat. Das sagt eigentlich schon alles«, erklärt Pedro im Interview.

Pedro und Peter kennen sich bereits seit ihrer Jugend in Mainz, sind zum Studium gemeinsam nach Essen gezogen und dort, bereits als Düsseldorf Düsterboys aktiv, auf Joel getroffen, der eigentlich bildender Künstler ist. Sein rudimentäres Schlagzeugspiel, das an Moe Tucker von The Velvet Under­ground erinnert, prägt auch den Sound von »Endless Rüttenscheid« wieder enorm. Es bildet in seinem schnörkellosen Minimalismus den stumpf treibenden Kontrapunkt zu den melodie- und harmo­nieseligen Songwolken, die Peter und Pedro entfalten und verleiht der Musik Bodenhaftung.

Es ist bemerkenswert, wie gut es der Band gelingt, die virtuose Kompaktheit ihrer ­Auftritte ins Studio
zu übertragen

Es ist bemerkenswert, wie gut es der Band auf dem neuen ­Album wieder gelingt, die virtuose Kompaktheit ihrer Aufritte ins Studio zu übertragen und sich als Einheit zu präsentieren, bei der alle Elemente ineinander verschmelzen. Da wird, wie im Eröffnungstrack »Kraut«, am Ende der bluesrockigen Boogie-Woogie-Strophe das Tempo verschleppt, gemeinsam ­morpht die Band ganz organisch in einen hymnischen Britpop­refrain. Was auf Papier nach Muckertum riechen könnte, wird ganz lässig aus dem Ärmel geschüttelt.

Bei einem derart großem Stilreichtum stellt sich die Frage, ob sich die Band überhaupt konzeptionelle Gedanken macht — oder es einfach kreativ fließen lässt. »Beides ist richtig«, antwortet Pedro. »Wir haben uns allerdings vor der Produktion viel darüber unterhalten, wie das neue Album klingen soll. Vielleicht ein bisschen leichtfüßiger, vielleicht ein bisschen direkter, weniger verhallt und versteckt, mutig und nach vorne.« Mehrere Wochen lang hat sich die Band Ende 2023 Zeit genommen, um das Album zu schreiben und dann auch direkt aufzunehmen, so waren die Songs »frischer und näher an der Spielfreude, die wir empfinden, wenn wir eine neue Idee haben. Das konnten wir allerdings nur tun, weil wir mittlerweile einen Raum und Equipment haben, mit dem wir aufnehmen können«.

Als Produzent am Werk war erneut Olaf Opal (The Notwist, Juli, Die Sterne), der großen Einfluss auf die Ästhetik der Band hat: »Olaf Opal ist auch außer­halb des Studios ein wichtiger Freund und Begleiter für uns geworden. Wir schätzen an ihm sein unglaubliches Gespür für Musik. Bei ihm kommt ein breites Wissen über alle möglichen Stile und Studiotechnik mit einer fast schon kindlichen Neugier am Entstehungsprozess von ­Musik zusammen. Er ist ein einzigartiger Produzent, von dem wir viel lernen.« Opal lebt in Bochum — vielleicht ja einer der Gründe, weshalb die Band dem Ruhrgebiet, das nicht gerade als Mekka der alternativen Popkultur bekannt ist, die Treue hält. »Essen und das Ruhrgebiet haben uns mit offenen Armen empfangen. Die Stadt hat genau so wenige Erwartungen an uns gestellt, wie wir an sie, sie hat uns unsere Bekanntschaft und Band geschenkt. Dadurch spielt Essen eine wichtige Rolle in unserer ­Biografie. Ein Dogma machen
wir daraus allerdings nicht.«

Tonträger: International Music, »Endless Rüttenscheid« (Timeless Melancho­lic Music/Bertus), bereits erschienen