Köln entkorkt
Donnerstag, 18 Uhr, in Ehrenfeld. Während man sich in den anderen Geschäften langsam auf den Feierabend einstellt, entkorkt Weinhändlerin Surk-ki Schrade eine Flasche Naturwein.
Naturwein — das ist das Wort, das derzeit in Köln auch bei Menschen Interesse am Wein weckt, die bislang kaum Zugang zum Wein und seiner Kultur gefunden haben. Entsprechend finden sich immer häufiger Naturweine auf den Karten von Bars, Bistros und Restaurants — oder man spezialisiert sich gleich darauf.
Und eben das liegt auch an der Naturwein-Pionierin Surk-ki Schrade. 2009 hat sie in Ehrenfeld ihre Weinhandlung »La Vincaillerie« eröffnet, es war die erste Naturweinhandlung im Land. Seitdem versucht Schrade, den Menschen Naturwein näher zu bringen und lädt etwa jeden Donnerstag zum Apéro ein; gegen eine Spende schenkt sie dann aus Flaschen ein, die sie gern selbst einmal verkosten möchte und über die sie mit Interessierten ins Gespräch kommen will.
Da kann ein Rotwein vor dem Lüften auch mal nach Stall riechen oder der Weißwein kommt trüb ins Glas. Was manchen Weinbegeisterten empören würde, schreckt Schrades Publikum nicht ab. Im Gegenteil: Im Naturwein suchen viele das Ungewohnte, das sie noch einmal aufmerksamer schmecken lässt.
Aber was hat es mit Naturwein auf sich? Sind es nur Weine, die komplett anders schmecken als die, die man bislang gewohnt war zu trinken? Schrade betont, dass allein die Herstellung darüber entscheidet, ob es sich um Naturwein handelt — und dass er weder am Aussehen noch am Geschmack zu erkennen sei.
Im Naturwein suchen viele das Ungewohnte, das sie noch einmal aufmerksamer schmecken lässt
Eigentlich mangelt es in Deutschland nicht an Weingesetzen. Aber anders als in Frankreich gibt es keine Regelung dafür, was ein Naturwein ist. Darum hat Schrade am Vorbild von europäischen Naturwein-Verbänden ihre eigene gefunden: Für Weine, die sie in ihr Sortiment aufnimmt, muss der Weinberg mindestens biologisch bewirtschaftet sein und die Trauben handgelesen. Während der Weinherstellung soll zudem nichts passieren, außer dass Traubensaft zu Wein vergärt. Das bedeutet, dass Weingüter dabei ohne Zuchthefen arbeiten und auch ohne weitere Mittel, die den Wein stabilisieren oder ihn auf einen bestimmten Geschmack hin lenken. Höchstens zum Ende hin könne minimal Schwefel zugesetzt werden.
Für diese Weine hat Schrade inzwischen eine treue Kundschaft gefunden — und das schon vor dem Naturwein-Hype in der Stadt. Allerdings habe sie gerade zu Beginn gemerkt, dass sich Menschen in Köln mit Innovationen schwer tun. »In den ersten sechs Jahren wollte ich den Laden alle paar Monate zumachen«, sagt Schrade. »Ich wurde verteufelt und beleidigt«, sagt sie. Heute beobachtet sie erfreut, dass nach 15 Jahren, in denen sie sich für den Naturwein eingesetzt hat, auf vielen Weinkarten in Köln nun auch Naturweine stehen.
Naturwein
Exemplarisch dafür steht das Team von Frohnatur. Ende vergangenen Jahres eröffnete unter dem Namen eine Weinstube in Ehrenfeld, die eigentlich ein Restaurant ist, auf dessen Weinkarte Naturweine stehen. Einige Monate später folgten dann eine kleine Bar und ein Bistro am Friesenwall, ebenfalls mit Naturweinen.
Dort sitzen Pauline und Johannes Ipfelkofer und wirken beim Gespräch erfreut, aber kaum überrascht, dass es gastronomisch so gut läuft.
Alles begann 2021 mit einem kleinen Weinladen an der Roonstraße, erzählen die beiden. »Da tummelten sich schon die Menschen bei unserem Speed Tasting am Samstag: Drei Naturweine für 15 Euro«, erzählt Pauline Ipfelkofer. »Da haben wir gemerkt, dass in Köln auch der Need da ist.« Sie seien sich daher sicher gewesen, dass ein gastronomischer Betrieb kein allzu großes Risiko sei. »Wir haben uns metropolitische Konzepte wie in Amsterdam, Kopenhagen oder Paris zum Vorbild genommen, eben das, was uns dort begeistert hat«, sagt Johannes Ipfelkofer. »Die ganze Wein-Nummer soll auf keinen Fall so ein elitäres Thema sein. Wir wollen das Prätentiöse rausnehmen, es ist besser, das alles locker anzugehen, auch bei hochpreisigen Weinen.« Und Pauline Ipfelkofer betont, dass eben das auch den Winzern wichtig sei, mit denen sie im Direkthandel zusammenarbeiten und mit denen man befreundet sei.
Dass das vielen Menschen den Zugang erleichtert, zeigt sich in der Ehrenfelder Weinstube, aber vor allem auch hier am Friesenwall, wo ein junges, auch internationales Publikum an den letzten warmen Tagen auch noch vor der Bar und dem Bistro sitzt und Naturwein trinkt.
»Aber auch, wenn hier viele junge, hippe Leute sitzen, die das Produkt schon kennen und cool finden, haben wir etwa in der Weinstube in Ehrenfeld immer noch Veedelspublikum«, sagt Pauline Ipfelkofer. »Die wollen wir auch mit an Bord nehmen. Sobald man denen den Background gibt zu Naturwein, dann lassen sie sich darauf ein — Kommunikation ist bei uns alles! Wir haben beide vorher im Marketing gearbeitet. Da hat man schon sehr viel geredet. Und jetzt reden wir dreimal so viel wie vorher in unseren Jobs.«
Die Kommunikation mit den Gästen findet nicht nur in den Lokalen statt, sondern permanent auch auf den einschlägigen Social-Media-Kanälen.
Welche Bedeutung aber hat es für die Gäste, dass es sich bei Naturwein um ein Produkt handelt, dass für Nachhaltigkeit steht? »Die Hintergründe der Produkte sind sicher ein Faktor. Aber ich würde sagen, die erste Motivation ist der Lifestyle-Aspekt«, sagt Johannes Ipfelkofer, wobei »im Lifestyle ja auch immer schon eine politische Meinung steckt«, so Pauline Ipfelkofer. »Aber wir kommunizieren unpolitisch und halten diese Aspekte im Hintergrund, das schwingt eher mit«. Und Johannes Ipfelkofer fügt hinzu: »Für uns ist es selbstverständlich, dass wir darauf achten, dass der Wein und auch das Essen eine Herkunft haben, die man gut vertreten kann. Das ist in der Brand Frohnatur auch
verankert.«
Alles nur Marketing?
Doch hin und wieder hört man auch Stimmen, die meinen, die Hipster hätten den Wein gekapert. Womöglich fehle ihnen gar die echte Leidenschaft für das Getränk und dessen jahrhundertealte Kultur. Ist das also alles nur ein vom Marketing mit Social-Media-Kampagnen und Influencern geprägter Hype? Diesen Vorwurf kennen viele der neuen Gastronomen natürlich — aber sie lassen ihn nicht gelten. Für sie ist er nur ein Ausdruck eines Generationenkonflikts. Sie sehen es so: Auf der einen Seite alte Männer, die sich gegen Neuerungen bei der Präsentation und in der Vermarktung von Wein sträuben und mit ihrem Weinwissen protzen — und auf der anderen eine junge Generation, die im Weinberg, in der Vermarktung und in der Gastronomie andere Wege einschlägt: ohne Dünkel, ohne die althergebrachte Etikette und vor allem experimentierfreudig — und oft in Verbindung mit Werten wie Nachhaltigkeit oder auch Diversität.
Dass sich in der Wein-Szene etwas tut, beobachten auch die Gründerinnen Leonie Berents und Silja Mende-Kamps. »Egal in welcher Großstadt, überall sieht man eine junge Generation, die sich mehr traut und so kulturell Einfluss nimmt«, sagt Berents. Oft stünden Begegnung und Gemeinschaft — mit gutem Essen und Trinken — im Vordergrund. »Wir reden da auch viel über die neo-ökologisch geprägte Generation. Menschen, die sich mit der Welt verbunden fühlen, die divers aufgestellte Freundeskreise haben.«
Mit dieser Haltung sind die beiden Frauen Teil der Weinszene geworden. Ihr Unternehmen »abgefüllt« produziert »Pioneerwines«. »Wir haben uns bewusst eine Branche ausgesucht, in der es noch viel zu tun gibt — ökologisch, aber auch gesellschaftlich«, so Mende-Kamps. So haben sie gemeinsam Konzeptweine entwickelt. Das klingt pragmatisch. Beim Wein, erzählen sie, fielen 60 Prozent der CO2-Bilanz auf die Einweg-Glasflasche zurück. »Es war dann eine sehr leidenschaftslose Entscheidung, unseren Wein in die gängigste Mehrwegflasche zu füllen, sodass sie an jedem Pfandautomaten abgegeben werden kann.«, so Berents. Die
Etiketten der Flaschen liefern im zeitgemäßen Design Infos und Botschaften zum Wein.
Den Wein füllen sie in Bornheim ab, er kommt aber von zwei biodynamisch ausgerichteten Gütern in Südbaden, mit denen die zwei eng zusammenarbeiten. In die Flasche kommen vor allem PIWI-Trauben — Rebsorten, die bis zu 80 Prozent weniger Pflanzenschutz benötigt. »Vielen Menschen ist gar nicht klar, wie viel davon sonst zum Einsatz kommt, selbst im Bio-Anbau«, sagt Berents. Aber PIWI-Rebsorten sind unbekannt und auf dem deutschen Markt eine Herausforderung, weil viele Menschen mit Blick auf die Rebsorte kaufen. »Unsere Winzer haben uns anfangs gesagt, dass sie PIWIs nicht verkauft kriegen.« Aber wer Wein in Bierflaschen kauft, lässt sich wohl auch von unbekannten Rebsorten nicht abschrecken.
Wichtig sei aber auch der Geschmack. »Wir prägen ein modernes Geschmacksprofil: Wein, der unsere Kundschaft zwar fordert, aber nicht überfordert«, sagt Mende-Kamps. Mit dem Kellermeister kreieren sie den Geschmack. »Wir nehmen erst mal nur PIWIs, aber wenn dem Wein noch etwas fehlt, kommen andere Sorten dazu.«
Es gehe aber nicht allein um den Wein. »Unsere Mission ist es, Menschen, vor allem Unternehmer:innen, zum Umdenken anzuregen«, erklärt Berents. Dazu gehöre ökologisches Bewusstsein, aber auch die Art der Zusammenarbeit. »Wir führen Partnerschaften auf Augenhöhe und ziehen ein sehr divers geprägtes Netzwerk an. Wichtig sei außerdem, dass alle »fair an der Wertschätzung beteiligt werden«. So werde mit Winzern nicht über Preise diskutiert. »Aber wir möchten verstehen, wie die Preise entstehen.«
»Auf dem Weinberg qualitativ, regenerativ, fair und per Hand zu arbeiten, kostet bereits fünf mal so viel verglichen zum Basiswein«, heißt es dann auf der Internetseite. Trotzdem — oder gerade deshalb — finden sie Kundschaft, und es kommt zu Partnerschaften mit Kölner Concept Stores, Restautants, Bars, Cafés und auch Büdchen.
»Der elitäre Weinkenner ist tot«
Für den Autor und Sommelier Sebastian Bordthäuser waren neue Weinkonzepte längst überfällig: »Bis vor kurzem war die Frage ja, wo gehe ich in dieser Stadt von Millionen Menschen ein anständiges Glas Wein trinken? Keine Chance.« Ausnahmen waren die feinen Restaurants. »Inzwischen geht das auch in einer Pizzeria«, sagt Bordthäuser. Oder eben in einer der Weinbars. Auch darum bedeutet die Entwicklung für ihn, dass Wein demokratischer wird: »Wein ist ja ein geiles Getränk. Das entdecken immer mehr Leute für sich. In immer mehr Gesellschaftsteilen.« Der elitäre Weinkenner, der früher seinen Bordeaux im Restaurant getrunken habe, »der ist tot«, meint Bordthäuser. Und die Interessierten, die nachwachsen, hätten einen ganz anderen Duktus. »Heute haben wir 50 verschiedene Weinszenen und Habitate. Und die machen alle Restaurants mit Weinkarten auf.« So entstehe eine bunte Weinszene.
Aber es gibt ja auch noch die Weinlokale, die schon etwas länger auf Qualität und Genuss setzen, aber sich nicht offensiv und in erster Linie an ein junges Publikum wenden, sondern darauf vertrauen, dass eine kompetent zusammengestellte Karte mit guten, aber auch interessanten Weinen die Kundschaft überzeugt. So wie etwa die Bar Rix, nur wenige Häuser von den Frohnatur-Läden am Friesenwall entfernt. Inhaberin ist die Wein-Expertin Valentine Mühlberger. Sie neidet den jüngeren Gastronomen nicht den Erfolg. »Ach, ich finde das super«, sagt sie und lacht. »Je mehr Wein, desto besser!« Mühlberger gefällt, »dass es jetzt viele Alternativen gibt — für jede Stimmung, jedes Alter, jede Art von Wein.« Als sie vor sechs Jahren eröffnet hat, sei sie gewarnt worden, dass Köln doch eine Bier-Stadt sei. »Damals hatte es ja wirklich kaum Weinbars gegeben. Aber es hat funktioniert.«
Auch bei Mühlberger gibt es Naturweine. Aber sie stellt das gar nicht heraus bei der Beratung. »Gerade weiße Naturweine gehen oft weg vom herkömmlichen Geschmack, und wer mal einen extremen Wein getrunken hat und das scheußlich findet, der fasst nie wieder Naturwein an.« In ihrem Lokal sei der ausdrückliche Wunsch nach Naturwein auch schon wieder zurückgegangen. »Eher die Jüngeren fragen danach.«
Köln kann gut noch mehr Wein vertragen. Ich plädiere dafür, dass Köln Wein-Stadt wird!Valentine Mühlberger, Bar Rix
Dabei ist Naturwein eigentlich nichts Neues. »Das ging schon um 2000 in Paris los, Köln hinkt da sehr hinterher«, so Mühlberger. »Und die ersten Überlegungen zu Naturwein gab es schon in den 60er Jahren in Frankreich, ab den 70er Jahren fing es dann an, dass man im Beaujolais schwefelfreie Weine machte; im Jura gab es das schon traditionell.« Naturweine seien grundsätzlich wichtig für die Weinszene, sagt Mühlberger, weil die Vielfalt dadurch enorm steige. »Aber toll daran finde ich auch, dass das die konventionellen Winzer anstupst, neu nachzudenken.« Nicht über den Einsatz von Schwefel, sondern auch von Pestiziden, Enzymen, Zuchthefen.
Wie Surk-ki Schrade in Ehrenfeld möchte auch Mühlberger vermitteln, dass Naturwein nicht unbedingt ungewöhnlich schmecken muss. »Mir ist es wichtig, gut zugängliche Naturweine einzuschenken, um Menschen heranzuführen. Und mich beeindrucken Winzer, die Weine ohne jegliche Hilfsstoffe machen, die wirklich auch einen Weingenuss bieten«, sagt Mühlberger. Sie wünsche sich, dass der Genuss im Vordergrund stehe. »Aber die Etiketten-Trinker, die gibt es überall, bei den klassischen Bordeaux ebenso wie bei Naturweinen — es gibt überall Gehabe, den damit verbundenen Lifestyle und die Prahlerei, wenn man etwas hat, was man hier nicht kaufen kann. Das finde ich alles schade, das ist nicht meine Wein-Welt, das ist weit weg vom echten Genuss.«
Aber sie merke auch, dass das echte Interesse am Wein wachse. Auch das zeige sich ja bei den vielen Neueröffnungen. »Und Köln kann gut noch mehr Wein vertragen«, sagt Mühlberger und lacht wieder: »Ich plädiere dafür, dass Köln Weinstadt wird!«
Zurück zu den Anfängen.
Eben das war Köln eigentlich die meiste Zeit. Das zeigt auch die Kölner Stadtführerin Dorothea Lautwein, die unter anderem auch eine Führung zur »Weinstadt Köln« anbietet. »Das verwundert viele zunächst«, sagt Lautwein am Telefon. »Für die ist Köln vor allem Bier-Stadt. Dabei hat der Wein hier eine viel längere Geschichte, das fängt ja schon bei den Römern an. Nach einem Spruch, der im 15. Jahrhundert im Ostseeraum aufkam, galt Köln als »Weinhaus der Hanse«, so Lautwein. »Köln war zeitweilig nach Bordeaux der zweitgrößte europäische Umschlagplatz für Wein. Die Kölner Kaufleute haben etwa rheinischen und elsässischen Wein bis nach Ost- und Nordeuropa verkauft, nach England ohnehin — der Wein hatte eine riesige wirtschaftliche Bedeutung.«
Auch gab es etliche Anbauflächen für Wein, was man unter anderem auf einer berühmten Kölner Stadtansicht von 1570, dem Mercatorplan, sehen kann. »Vor allem die Klöster haben sich immer mit Weinbau befasst, etwa mit Bodenoptimierung und Sortenverbesserung«, so Lautwein. 2008 entdeckte man bei Bauarbeiten am Kartäuserwall Spuren eines klösterlichen Weingartens. Meist wurde Rotwein angebaut. »Den werden in Köln eher die einfacheren Leute konsumiert haben«, sagt Lautwein. Zwar könne man nie erfahren, wie der Wein damals geschmeckt habe, aber die Überlieferung von Spottnamen wie »Suure Hungk« (Saurer Hund) lasse die Vermutung zu, »dass das keine Exportschlager waren«, so Dorothea Lautwein. Getrunken wurde der Wein dann etwa in den vielen Weinstuben. Dass es jetzt wieder mehr davon gibt, findet auch Lautwein gut. »Schade finde ich aber, dass im Bereich der Altstadt alle Weinstuben verschwunden sind, zuletzt das traditionsreiche Weinhaus Brungs — da geht dann auch der letzte Anknüpfungspunkt an die Tradition verloren.«
Rund ein Dutzend Teilnehmer einer Weinführung, die meisten sind Frauen, stehen an einem Donnerstagnachmittag vor einem Haus in der Südstadt. Hier wohnt im Parterre Thomas Eichert, der als selbsternannter »Stadtwinzer« bekannt ist. Als die Stadtführerin ansetzt, über Eicherts Engagement zu sprechen, öffnet sich prompt das Fenster — und Eichert grüßt belustigt in die Runde. Alle hören gebannt zu, wie Eichert sofort loslegt und erzählt: wie er vor zwei Jahrzehnten durch die Trauben, die ein Nachbar ihm schenkte, auf den Gedanken kam, daraus Wein zu keltern; warum er aber den Wein, den er seither in kleinen Mengen selbst herstellt, aus juristischen Gründen nicht verkaufen darf — und warum Wein an Fassaden ein Beitrag zur Klimawandelanpassung ist. Überhaupt, der Klimawandel: »So schlimm wie dieses und letztes Jahr war es noch nie«, sagt Eichert und zeigt auf den Mehltau auf den Trauben an der Hauswand. Welche Trauben da so pittoresk ranken, kann Eichert gar nicht sagen. »Eine relativ frühreifende Rotweinsorte, wenig Säure, sanft, schmeckt ein bisschen wie ein leichterer Trollinger, ich mach aber auch Blanc de Noir daraus«, erzählt er später, nachdem die Weinführung weitergezogen ist, beim Plausch am Küchentisch.
Für viele ist Köln vor allem Bier-Stadt. Dabei hat der Wein hier eine viel längere GeschichteDorothea Lautwein, Stadtführerin
Der Mehltau ist eine frühe Folge der Globalisierung. Der Pilz stammt aus Nordamerika und wurde Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals in Europa nachgewiesen, so wie später die Reblaus, die von Frankreich aus den gesamten europäischen Weinbau ruinierte. Eichert setzt inzwischen auf resistentere PIWI-Reben und hat in Köln rund 30 Rebstöcke gepflanzt. Einen Weinberg hat Eichert nach einer Reihe bürokratischer Auseinandersetzungen auch: den Hang an der Severinstorburg, rund 220 Quadratmeter — dort wachsen Sorten wie Solaris, Johanniter oder Cabernet Cortis. »Im Jahr 2000 hat man mich gefragt, ob es für Wein in Köln überhaupt warm genug sei — jetzt haben wir in der Erntezeit im September noch über 30 Grad.« Im Wohnzimmer hat er schon die Weinpresse aufgebaut, in den nächsten Tagen geht es los.
In guten Jahren hat er bis zu 300 Liter produzieren können. »Aber dieses Jahr ist es eine Katastrophe«, sagt Eichert und zeigt noch mal durchs Fenster auf die Trauben. »Alles voller Mehltau! Ich lass die noch für die Vögel und die Wespen hängen.«
Dass jetzt in der Bierstadt Köln der Wein wieder auf so großes Interesse stößt und Naturwein in der Gastronomie ein Renner ist, das hat Eichert auch gehört. Ein bisschen liege das auch an ihm, dass Wein in Köln wieder ein Thema sei, meint er. »Ich finde die Pflanze und das Handwerk faszinierend, es ist eine uralte Tradition und eigentlich auch einfach.« Wo hat er das denn gelernt? »Internet«, sagt Eichert und lacht.
Aufgewachsen in der Innenstadt, aktiv in der Hausbesetzerszene der späten 70er Jahre, ein Musiker, der mit Klaus dem Geiger Straßenmusik machte und Konzerte gab. Noch heute finden bei Eichert im Wohnzimmer Konzerte oder Lesungen statt, dann darf er auch den Wein verkosten. Dabei sei er selbst »gar nicht so der alkoholische Typ«, sagt er. »Abends, gerade wenn es so heiß ist, da trinke ich gern mal ein alkoholfreies Bier.«