Schub für die Kölner Literaturszene: Team von Land in Sicht

Ende in Sicht

Nach zehn Jahren findet die Lesereihe »Land in Sicht« zum letzten Mal statt

»Ein bisschen wehmütig bin ich schon«, sagt Melissa Steinsiek-Moßmeier. »Ich glaube, bei mir kommt das dann am Abend oder einen Tag später«, meint André Patten. Der Abend, von dem er spricht, ist die letzte Ausgabe der Lesereihe »Land in Sicht«, die die beiden mitorganisieren. Am 17. Oktober ist Schluss — nach zehn Jahren und einem Tag.

»Vor zehn Jahren sah die Literaturszene in Köln noch anders aus«, erzählt Patten. An der Universität Köln hatte er Kevin Kader kennengelernt, und gemeinsam mit ein paar weiteren Leuten waren sie auf der Suche nach einer Person, um eine Literaturveranstaltung ins Leben zu rufen, wie sie sie woanders kennengelernt haben: von Schreibenden für Schreibende, insbesondere für die, die am Anfang stehen. »Wir haben uns dann gefragt, wer so was organisieren könnte«, sagt Patten. »Schnell war klar: Die Person gibt es nicht. Wir mussten es selbst machen.« Sie gründeten einen Verein, im Oktober 2014 startete dann die erste Ausgabe im Café Fleur an der Lindenstraße, nach der Pandemie zog die Reihe nach Ehrenfeld in den Kulturraum 405. Geblieben ist das Konzept: Vier Schreibende stellen ihre Texte vor, das Publikum hat möglichst wenig Abstand zu den Lesenden — räumlich, aber auch von den Interessen. »Unser Publikum ist mitgegangen«, meint Patten.

Seit dem Ende der Pandemie gibt es eine Fülle an neuen Lese­reihen. Es ist ein guter Zeitpunkt zum AufhörenAndré Patte

Mitgegangen ist es auch zu anderen Veranstaltungen. Über die Jahre hat sich ein Veranstaltungs-Imperium um »Land in Sicht« gebildet. »Aus dem kleinen Verein sind eigene Strukturen entstanden«, sagt Patten. Im Rheinauhafen veranstaltet der Verein die »Short Story Night«, im VHS-Forum den Förderpreis Junge Literatur. Kevin Kader hat im vergangenen Jahr die Reihe »Eine andere Klasse« ins Leben gerufen, die Geschichten und Autor:innen repräsentieren soll, die aus dem Milieu der Arbeiterklasse stammen. Oft geht es dabei autofiktional zu, manchmal jedoch auch mit einer populär-modernistischen Schreibhaltung. Und dann sind da noch die Festivals. Bei der »Hörspielwiese« werden Hörspiele im Park abgespielt und teilweise aufgeführt, das »Auftaktfestival« will klassische Literaturformate in Richtung Performance verschieben. Bei beiden ist Melissa Steinsiek-Moßmeier aktiv, die 2016 zu »Land in Sicht« gestoßen ist. »Es ist schön, was seitdem dort entstanden ist«, sagt sie. Beide Festivals haben verschiedene Orte durchlaufen. Die Hörspielwiese hat im Stadtgarten ein Zuhause gefunden, das Auftakt-Festival wechselt seine Location jährlich, »weil es nicht den einen Ort gibt, der einen jedes Jahr aufnimmt«, wie Steinsiek-Moßmeier erzählt.

Möglich wird all dies durch Förderungen der Stadt Köln, des Landes NRW und anderer Institutionen: »Wir sind am Anfang sehr naiv an das Thema Förderung herangegangen«, erzählt Patten. Der Verein habe nicht gewusst, wie hoch man das Honorar für die eigene Arbeit ansetzen müsse. »Diejenigen, die heute aus dem Studium kommen, machen das nicht mehr so — was ja auch gut ist.« Die Lesereihe Land in Sicht habe gezeigt, dass es möglich ist, etwas auf die Beine zu stellen, und dafür gefördert zu werden. »Seit dem Ende der Pandemie gibt es eine Fülle an neuen Lesereihen«, sagt Patten. »Das ist auch einer der Gründe, warum wir denken, dass es ein guter Zeitpunkt zum Aufhören ist.«

Ein anderer Grund: Nicht nur die Literaturszene hat sich geändert, auch das Leben des Land-in-Sicht-Teams: Manche sind weggezogen, manche haben eine Familie gegründet. »Und weil wir älter geworden sind, haben wir uns auch ein wenig von der Gruppe an Autorinnen und Autoren entfernt, die wir eigentlich gern bei der Reihe dabei haben wollen«: Autor:innen, die vielleicht gerade ihre ersten Beiträge in Anthologien oder Zeitschriften veröffentlicht haben.

Die Gäste der letzten Ausgabe sind auch keine Unbekannten mehr. Leyla Bektaş erzählt in ihrem Debüt-Roman »Wie meine Familie das Sprechen lernte«, wie ihre eigene Familie Worte für ihre alevitische Religionszugehörigkeit findet. Martin Piekars hat seine Texte, die im Inneren oft die passenden Worte für das Außen finden, vergangenes Jahr schon beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt vorgestellt. Mirjam Kay Mashkour hat in diesem Jahr das Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln erhalten. Mit Patrick Peyn beendet der Autor die Reihe, der sie vor zehn Jahren eröffnete. Und nicht nur das — sein Studium schließt er dieses Jahr auch ab.