»Klima der Angst«
Die 34. Ausgabe des Film Festivals Cologne hat schon vor ihrem Beginn Schlagzeilen gemacht — wegen einer E-Mail. Sie wurde Ende September an die Institutionen verschickt, die das Festival fördern: die Stadt Köln, das Land NRW, die Film- und Medienstiftung NRW. Auch viele Medien, darunter wir, haben sie erhalten.
Neun ehemalige Mitarbeitende des Film Festivals Cologne schreiben darin von einem »Arbeitsklima der Angst«. Verantwortlich dafür machen sie Martina Richter, die Leiterin des Festivals: Ihr Führungsstil sei »autoritär und geprägt von einem Mangel an Fehlerkultur, Misstrauen, Mikroaggressionen, Mikromanagement, Kontrollwahn und Willkür«.
»Wir wollten junge Leute warnen«, sagen zwei ehemalige Mitarbeitende, die anonym bleiben wollen. Viele würden sich von einem Job beim Film Festival einen Einstieg in die Branche erhoffen. Richter stelle jedoch Mitarbeiter:innen vor dem gesamten Team bloß, im Büro herrsche Angst zu sprechen, um nicht in die Schusslinie zu geraten. »Ich weiß, dass die Medienbranche keine Kuschelbranche ist«, sagt eine der beiden Personen, »aber so ein bitterböses Verhalten habe ich noch nicht erlebt.« Die andere Person fängt im Gespräch an zu weinen. Es sei unmöglich gewesen, Richters Ansprüchen gerecht zu werden, erzählt sie: »Man wurde verantwortlich gemacht für Sachen, von denen man auch nicht wusste, dass man sie machen sollte.« Eigenständige Arbeit sei nicht möglich gewesen, Richter habe »jedes »Komma in einem Newsletter, jeden Punkt in einem Instagram-Post kontrolliert«.
Dies sei auch ihre Aufgabe als Festivalleiterin und Geschäftsführerin gewesen, lässt Richter über eine Medienanwaltskanzlei mitteilen. Sie nehme diese Verantwortung sehr ernst, von »Misstrauen, Mikroaggressionen, Mikromanagement oder Willkür« könne nicht gesprochen werden. Konsequenzen hatte die Mail trotzdem: Das Kurzfilmfestival Köln hat für 2024 seine Zusammenarbeit mit dem Film Festival ausgesetzt. Anfang Oktober kommt dann eine zweite E-Mail in unserer Redaktion an. Sie ist verfasst von mehreren Personen, die aktuell im Organisationsteam des Festivals arbeiten. Sie stellen sich hinter ihre Ex-Kolleg:innen: Das Arbeitsklima im Kernteam sei geprägt von Misstrauen und erratischen Anfeindungen durch Richter. Gespräche zur Verbesserung des Arbeitsklimas seien ohne Ergebnis geblieben, einem Kollegen, der sich darum bemüht habe, sei gekündigt worden. Richter bestreitet, dass er aus diesem Grund gekündigt worden sei, nennt aber keinen anderen. Über ihre Anwältin lässt sie ausrichten, dass sie durchaus Veränderungsbedarf sehe. In welche Richtung, sagt sie nicht.
Es ist nicht illegal, eine schlechte Führungskraft zu sein. Anders sieht dies bei einem anderen Vorwurf aus: dem der Scheinselbstständigkeit. In der Medienbranche arbeiten Menschen oft als Selbstständige für einen begrenzten Zeitraum für Arbeitgeber und führen eigenständig Steuern und Sozialabgaben ab. So soll es ihnen möglich sein, für mehrere Arbeitgeber gleichzeitig tätig zu sein. Manchmal wird diese Form der Beschäftigung jedoch von Arbeitgebenden ausgenutzt, um Sozialabgaben einzusparen. Dann spricht man von Scheinselbstständigkeit.
Die Medienbranche ist keine Kuschelbranche, aber so ein bitterböses Verhalten habe ich noch nicht erlebtEx-Mitarbeiterin des Film Festivals Cologne
Die aktuellen Mitarbeitenden berichten, dass manche »freie Mitarbeiter« ganzjährig regelmäßige Bürozeiten hätten, und sie dafür monatlich einen festen Betrag in Rechnung stellen. Dies könnte ein Indiz für Scheinselbstständigkeit sein. Richter bestreitet dies; es sei immer möglich, auch für andere Arbeitgeber zu arbeiten. »Ich habe Rechnungen für verschiedene Firmen von Richter geschrieben, obwohl ich nicht für diese gearbeitet habe«, sagt eine ehemalige Mitarbeiterin. Richter besitzt neben der Cologne Conference GmbH, die das Film Festival ausrichtet, zwei weitere Firmen, die in der Medienbranche tätig sind. Es sei projektbezogen durchaus vorgekommen, dass Freiberufler für verschiedene ihrer Firmen gearbeitet hätten, teilt sie mit.
Etwa 1,05 Mio. Euro erhält das Film Festival von der Stadt Köln, dem Land NRW und der NRW-Filmstiftung. Sie beteuern unisono, die Vorwürfe ernstzunehmen. Eine Stellungnahme von Richter werde geprüft. Die (Ex-)Mitarbeitenden wünschen sich jedoch etwas anderes: Das Film Festival soll wie die Berlinale eine öffentliche Institution werden. So war es 2020 angedacht, als der Stadtrat der Gründung einer Film Festival GmbH zustimmte, bei der die Stadt und das Land die Mehrheit der Anteile übernommen hätten. Richters Anteil wäre auf 10 Prozent begrenzt gewesen. Der Plan wurde jedoch nicht weiterverfolgt, wie das Land mitteilt. Nun will die Stadt versuchen, die Förderinstitutionen und Richter zu einem Gespräch über eine mögliche Trägerschaft des Festivals zusammenzubringen. Welche Rolle Richter danach spielen wird, dürfte jetzt offener sein als vor vier Jahren.