Rassistische Projektionen
Zu Beginn eine gute Nachricht: Die Zivilgesellschaft hat dazu gelernt. Als im Juni ein Café und zwei Wohnhäuser in Mülheim Ziel von Sprengstoffanschlägen waren, haben viele Stimmen in den Socials sofort auf den Kontext der NSU-Nagelbombe im Juni 2004 verwiesen. Es ist gut, dass es endlich ein breites Bewusstsein dafür gibt, dass auch in einer liberalen Stadt wie Köln ein rassistischer Anschlag immer wieder möglich ist.
Nun wissen wir heute, dass der Kontext höchstwahrscheinlich ein anderer ist. Die Explosionen sowie eine Entführung im Kölner Süden waren Teil einer Racheaktion für einen Marihuana-Diebstahl zwischen mehreren Drogenbanden. Der Hauptverdächtige wurde mittlerweile in Paris verhaftet, ein Auslieferungsantrag gestellt. Das sind die bei Redaktionsschluss bekannten Fakten.
In der Kölner Lokalpresse zirkulierte für die Täter jedoch schnell der Begriff der »Mocro-Mafia«. Er bezeichnet eine Organisation, die in den Niederlanden für Drogenhandel und Auftragsmorde verantwortlich ist, und stellt die Dinge falsch dar: »Mafia« übertreibt die Bedeutung dieser Bande, und »Mocro« stellt eine rassistische Kausalität zum Herkunftsland einiger Mitglieder her. Selbst der um Simplifizierungen selten verlegene NRW-Innenminister Herbert Reul verwendet den Begriff deshalb nicht. Die Anschläge mit der Cannabis-Legalisierung der Ampelkoalition in Verbindung zu bringen, war ihm allerdings nicht zu dumm.
Das war nur der Beginn. Aus weiteren Anschlägen am Hohenzollernring und in der Ehrenstraße sowie in Pesch wurde schnell eine »Anschlagsserie«. Dabei steht nicht fest, dass diese Anschläge etwas miteinander und mit den Anschlägen in Mülheim zu tun haben. So entstand ein Bild, das nur allzu sehr in die autoritären Fantasien passt, die rechte Kreise über Köln haben: eine durchmigrantisierte Stadt in den Fängen krimineller Banden aus dem Ausland, die unregierbar ist. Eine Stadt, in der man mal wieder »aufräumen« muss.
An diesem Bild mitgearbeitet haben nicht nur Medien und die Rechte. Die Polizei hielt aus »ermittlungstaktischen Gründen« viele Informationen zurück, so dass die Leerstellen zwischen den Fakten durch rassistische Projektionen besetzt und für parteipolitische Spielchen genutzt werden konnten. Mehr Offenheit und Ehrlichkeit sind nötig — nicht zuletzt, um die Sorgen derjenigen ernstzunehmen, die Opfer eines rassistischen Anschlags werden könnten. Selbst wenn die Geschichte diesmal — zum Glück — eine andere war.