»Der Boden darf nicht zum Spekulationsobjekt werden«
Morschenich sollte der Braunkohle weichen. Die Umsiedlung war weit fortgeschritten, da wurde das Dorf durch den vorgezogenen Kohleausstieg doch gerettet. Nun hat die Gemeinde Merzenich es von RWE zurückgekauft, um einen »Ort der Zukunft« zu schaffen. Das Dorf wird auch ein Projekt der Internationalen Bau- und Technologieausstellung Rheinisches Revier IBTA, die 2025 startet. Wer soll künftig dort wohnen?
Die ehemaligen Bewohner des Dorfs sollen zurückkehren können, sie haben deshalb ein Vorkaufsrecht. Wir haben uns allerdings für eine Besonderheit entschieden: das Erbpachtmodell. Das heißt, man kann die Gebäude zurückkaufen, die zugehörigen Grundstücke allerdings nur für hundert Jahre pachten. Sie bleiben im Besitz der Gemeinde.
Das schreckt viele Ex-Bewohner ab.
Ja, man ist es anders gewohnt. Eigenen Grund und Boden zu haben, hatte immer den größten Wert. Aber es wurde eine enorme Fläche zurückgewonnen, die für den Braunkohleabbau vorgesehen war. Wir möchten nachhaltig und sensibel mit diesem Boden wirtschaften. Mit dem Erbpachtmodell haben wir den großen Vorteil, dass wir als Gemeinde mitsteuern können. Morschenich hat künftig, wenn der Tagebau geflutet wird, eine 1A-Lage direkt am See. Der Boden darf nicht zum Spekulationsobjekt werden.
Befürchten Sie, dass sich betuchte Kölner eine Parzelle direkt am See sichern?
Grundsätzlich ist jeder, der mit uns den Ort der Zukunft gestalten möchte, herzlich eingeladen. Wir wollen das Dorf als Ganzes entwickeln, und zwar in die Richtung der Themen, die im Strukturwandel generell eine wichtige Rolle spielen: Nachhaltigkeit, und regenerative Energien etwa. Bei der Energie- und Wasserversorgung steht für uns der Kreislaufgedanke im Vordergrund, wir wollen energieautark sein. Zurzeit lassen wir einen städtebaulichen Masterplan erstellen, mit verschiedenen Beteiligungsformaten. Und hierfür ist es uns wichtig, dass wir als Gemeinde den Handlungsspielraum behalten.
Und da wollen die früheren Dorfbewohner nicht mitmachen?
Einige haben schon Interesse. Aber viele haben mit dem Thema Umsiedlung abgeschlossen. Im Juli haben wir das offizielle Abschlussfest der Umsiedlung gefeiert. Die Dorfgemeinschaft ist am neuen Standort wieder zusammengewachsen, hat sich neu eingerichtet. Es wäre eine emotionale Belastung, sich wieder mit dem alten Dorf zu beschäftigen.
Wer soll dann im Ort der Zukunft wohnen?
Wir haben eine sehr große Interessentenliste. Manche haben ganz konkrete Ideen etwa für neue Wohnformen oder Unternehmen. Andere sagen nur, sie möchten aus der Stadt raus und etwas neues ausprobieren. Eine Dorfgemeinschaft kann nur entstehen, wenn Menschen vor Ort sind, die das mittragen.
Microsoft will Rechenzentren im Rheinischen Revier errichten. Wäre das auch etwas für Morschenich?
Das müssten wir leider ablehnen, es ist ländlicher Raum und soll es auch bleiben. Kleinere Betriebe würden funktionieren. Uns ist auch die Landwirtschaft sehr wichtig. Vielleicht könnte man hier an das Bioökonomieprojekt des Forschungszentrums Jülich anknüpfen, das in Morschenich Photovoltaik-Anlagen über Pflanzen testet.
Morschenich, das inzwischen in Bürgewald umbenannt wurde, erhält 90 Mio. Euro Fördermittel. Was passiert mit dem Geld?
40 Mio. haben wir für den Rückkauf von RWE verwendet. Mit dem Rest planen wir Energiesysteme, Straßengestaltung, Wasserversorgung, aber auch Pionierprojekte wie die alte Kirche, die zu einem sozialen Treffpunkt im Ort werden soll. Es ist wie bei einer kompletten Neuentwicklung — nur mit der Herausforderung, dass wir mit dem Bestand arbeiten. Ziel ist es, den Charakter des rheinischen Straßendorfs zu erhalten.
Zu einem Ort der Zukunft gehört es also, dass man mit dem Bestand arbeitet?
Aus unserer Sicht ja. Alles werden wir leider nicht erhalten können, auch wegen Vandalismus und Feuchtigkeitsschäden. Daneben geht es auch um Wohnkonzepte: Wie sieht das Wohnen der Zukunft aus? Da geht es weniger um Design oder Fassadengestaltung, als um Ressourcenschonung, Nachhaltigkeit, die Bedürfnisse der Menschen.
Anna Hecker ist Wirtschaftsgeographin und »Strukturwandelmanagerin« der Gemeinde Merzenich am Tagebau Hambach