Durch die Nacht mit … einem Teheraner Drogenkurier © W-Film

Critical Zone

Ali Ahmadzadehs ungeschönter Realismus entfaltet halluzinogene und politische Wirkung

Ein Rettungswagen gleitet lautlos durch den Schacht eines schier endlosen Tunnelsystems. Seine Fracht sind weder Notfallpatienten noch Medizin. Obwohl: Die Drogen, die nach der langen, labyrinthischen Fahrt in den geräumigen Taschen zahlreicher Dealer verstaut werden, mögen vielleicht nicht heilen, aber sie machen den Schmerz doch ein wenig erträglicher. Und Schmerzen, die betäubt werden wollen, haben in Ali Ahmad­zadehs nihilistischem Unter­weltsfilm »Critical Zone« alle. Was ihre Ursache ist, muss der Film nicht aussprechen, die Umstände seiner Entstehung und Veröffentlichung sind Erklärung genug. Wie so viele iranische Film­schaffende von Jafar Panahi bis zu dem unlängst nach Deutschland geflohenen Mohammad Rasoulof ist auch Ali Ahmadzadeh mit ­einem Arbeitsverbot belegt und ihm droht die Verhaftung. Seine Filme darf es in der totalitären Theokratie offiziell nicht geben.

Auch »Critical Zone« entstand ohne staatliche Genehmigung, mit versteckter Kamera und gefälschten Drehgenehmigungen. Nachdem die Erstaufführung beim 76. Locarno Film Festival bekannt gegeben wurde, musste sich Ahmadzadeh umgehend ­einem Verhör unterziehen. Ver­suche der iranischen Behörden, einen Rückzug des Films aus dem Wettbewerb zu erzwingen, blieben erfolglos, so blieb als Strafe vorerst nur das Ausreiseverbot. Die Auszeichnung des Werks mit dem Goldenen Leoparden sollte man dennoch nicht symbolpolitisch verstehen. Mit seinem gleichermaßen hypnotischen wie entfesselten Stil, der realistische und alle­gorische Elementen zusam­men­panscht, nimmt »Critical Zone« eine eigenständige Position innerhalb des jüngeren iranischen Kinos ein. Dabei schließt er mit dem Auto als zentralem Schauplatz an eines der charakteristischen Motive des iranischen Kinos an. Bei Ahmadzadeh ist es weniger eine in der greifbaren Wirklichkeit verankerte Schutzzone als ein ins Halluzinogene gewendetes schwarzes Loch. Nicht von ungefähr klingt der Ton in diesem Gefährt wie in einer schalldichten Zelle.

»Critical Zone« entstand ohne staatliche Genehmigung, mit versteckter Kamera und gefälschten Dreh­genehmigungen

»Critical Zone« folgt einem Drogendealer durch die Teheraner Nacht, die sanfte Stimme seines GPS weist ihm gleichsam wie ein Orakel den Weg. Seine Ware hat er zu Hause in kleine Päckchen verpackt und zu Schokoladen-Muffins verbacken. Herr Amir, wie er von anderen respektvoll genannt wird, ist bei der Fahrt zu seiner diversen Kundschaft selbst permanent zugedröhnt. Seine vorgedrehten Joints kruschtelt er während der Fahrt aus einer kleinen Metalldose, darauf das berühmte Motiv von Magritte mit der Pfeife und der Aufschrift »Ceci n’est pas une pipe«. Das Paradoxon spiegelt dabei auf den Protagonisten zurück: »Das ist kein Drogendealer«.

Tatsächlich gleicht der bärtige Mann mit den wuscheligen Locken eher einem Heilsbringer auf Mis­sion. Die Sexarbeiter*innen küssen ihm die Hand, als er ihnen ihr kleines Tütchen in die Hand drückt, und als er gemeinsam mit einer Krankenpflegerin das Haschgebäck an die gebrechlichen Menschen eines Altenheims verteilt, erinnert er fast ein wenig an Jesus beim letzten Abendmahl. Sogar die verzweifelte Mutter eines kaputten Sohns wendet sich vertrauensvoll an den »Arzt«.

Stilistisch navigiert der sich immer wieder betont hässlich gebende Film — fahle, kränkliche Farben, dazu Amirs unansehnliche, rammelnde Bulldogge Mr. Fred — zwischen einem ungeschönten Straßenrealismus und surrealistischer Verzerrung. Einmal steht die Kamera Kopf, ein anderes Mal ist sie am Lenkrad des Autos befestigt und produziert bei der Fahrt schwindelerregende Bilder. Auch die Tonspur ist von Verfremdungs­effekten durchzogen — wenn etwa der Außenwelt buchstäblich der Ton abgedreht wird oder eine ins Wahnhafte sich steigernde Fahrt mit einer Flugbegleiterin von Grunz- und Stöhnlauten begleitet wird. Am Ende dieses Trips lehnt sich die unverschleierte Frau aus dem Fenster des rasenden Autos und schreit voller Inbrunst immer wieder »Fuck youuuuu! Yessss! Fuck youuuu!«.

Trotz zärtlicher Gesten und ­einem blinden Verständnis zwischen Kurier und Passagieren wirkt der ganze Film wie ein vor Wut und Verzweiflung herausgebrülltes »Fuck you«. Es ist ein Schrei, der aber nicht befreit, sondern vielmehr einer großen Betäubtheit weicht.

D/IR 2024, R: Ali Ahmadzadeh
D: Amir Pousti, Shirin Abedinirad, Maryam Sadeghiyan
99 Min., Start: 7.11.