»Um das Böse zu spielen, musst du ein Guter sein«
»I’m a lucky man«. Das sagt Udo Kier mehrfach im Gespräch, um einmal hinzuzufügen: »Ich habe all meine guten Regisseure zufällig kennengelernt.« Dass durch diese Zufallsbekanntschaften ein beeindruckendes Werk zusammengekommen ist, belegt die aktuelle Ausstellung im Kölnischen Kunstverein mit Fotografien, Filmausschnitten, Postern und Objekten. Udo hatte sie alle, alle hatten sie Udo. Hier deutsche Filmavantgarde mit Fassbinder, Werner Schroeter und Schlingensief. Dort Vertreter der US-Gegenkultur mit Paul Morrissey, Andy Warhol, Gus Van Sant. Hinzu kommen Arthausgrößen wie Gábor Bódy oder Lars von Trier.
Höchste Filmkunst also, aber auch viel Trash. Dass eine eindeutige Trennung langweilig wäre, davon künden schon die Filmtitel der Retrospektive, die die Ausstellung begleitet. Da wird etwa Robert van Ackerens »Belcanto oder Darf eine Nutte schluchzen?« gezeigt. In Eddy Sallers Sex & Crime-Scharteke »Schamlos« bekleidet Kier 1968 seine erste Hauptrolle — als Zuhälter. »Ich sag immer: Ich habe 200 Filme gemacht — 100 schlechte, 50 kann man bei einem Glas Wein anschauen, und 50 sind gut.«
Noch mehr als das Kino begeistere ihn heute die Gegenwartskunst — diesen Aspekt macht auch das Kurator*innen-Duo Valérie Knoll und Hans-Christian Dany deutlich. Im Kunstverein vertretene Namen wie Rosemarie Trockel, Marcel Odenbach, Albert Oehlen deuten zudem auf die Nähe Kiers zum Rheinland und zu seiner Geburtsstadt: Wie es die Legende will, wurde Udo Kier 1944 als Udo Kierspe in Lindenthal geboren — während eines verheerenden Bombenangriffs der Alliierten. »Alle Babys waren tot außer ich«, erzählt Kier.
Auch die Mutter überlebte. »Alles war kaputt, dadurch wirkte der Dom viel größer.« Auf eine kaufmännische Ausbildung in Kalk folgt die Hinwendung zum Kreativen. »Michael Buthe, Sigmar Polke, Marcel Odenbach lebten alle hier, keiner von uns war berühmt. Wir gingen zum Italiener an der Gladbacher Straße, aßen Spaghetti und tranken Rotwein, dann in die Kneipe ›Bei Horst‹.« Mit dem jungen Fassbinder hängt Udo Kier in der Thieboldsgasse am Neumarkt ab, später lebt er mit Odenthal und Buthe in einer Künstlerkolonie in Ostheim. Walther Bockmayer, Gründer der Filmdose an der Zülpicher Straße, besetzt ihn für seinen Film »Victor« als Popstar. Auch nachdem er mit 50 nach Los Angeles zieht, kehrt er immer wieder an den Rhein zurück. Mal kommt er für den »Tatort« (2009), mal nimmt er Anteil an der Lokalpolitik. 2002 streitet er mit dem »Loch e. V.« gegen den Abriss der Kunsthalle am Josef-Haubrich-Hof. Vergeblich, wie man heute weiß.
Ich habe 200 Filme gemacht — 100 schlechte, 50 kann man bei einem Glas Wein anschauen, und 50 sind gut
»Udo is Love« — der Titel der Ausstellung geht auf eine Neonschrift zurück, ein Geschenk, mit dem Sigmar Polke einen Streit beilegte. Das mit der Liebe passt vordergründig nicht zu einem, der beruflich vorzugsweise Halb- und Schattenwesen verkörpert. Laut Kier ist das Alltag in Hollywood: »Wenn du als Deutscher in Amerika arbeitest, bist du der Vampir oder du bist Adolf Hitler«. Hitler hat er einige Male dargestellt — erst bei Schlingensief und zuletzt in der Serie »Hunters«. Die spielt in den 1970ern, als eine Gruppe jüdischer US-Amerikaner, angeführt von Al Pacino, Jagd auf untergetauchte Nazis macht. Kier erklärt: »Um das Böse zu spielen, musst du ein Guter sein.« Tatsächlich ist er ein liebenswürdiger und entspannter Interviewpartner. In seinem überreichen, pointiert erzählten Kino-Anekdotenschatz mischt er Liebeserklärungen an seine Schildkröte Hans Solo und äußert seine Sorge um das Weltklima. Im Oktober feierte er runden Geburtstag und durfte sich ins Gästebuch der Stadt einschreiben. »Ich bin ja schon 80, wird ja auch Zeit jetzt. Aber besser spät als nie«.
Mediale Unsterblichkeit ist ihm gewiss: Während die Gilde der US-Schauspieler noch für ihr Recht am digitalen Bild kämpft und streikt, hat Kier sich vertraglich gut abgesichert digital auslesen lassen — für das Spiel »OD« des legendären Gamedesigners Hideo Kojima. Der Xbox-Einspieler zum Abschluss der Ausstellung im Kunstverein zeigt Udo Kier als beeindruckend lebensechten Avatar.
»Udo is Love. Zeit ist die Sünde —
Eine Reise in das unfassbare Leben des Udo Kier«
Kölnischer Kunstverein, bis Mi 18.12.
Koelnischerkunstverein.de