Bis zur kompletten Verwirrung: Site-Specific-Kunst im Leerstand, Foto: Roland Kaiser

Kunst statt Konsum

Angie Hiesl und Roland Kaiser feiern vier Jahrzehnte Performancekunst und beleben das leerstehende Schuhhaus Goertz

Monate vergingen, bis Angie Hiesl + Roland Kaiser das leerstehende Goertz-Schuhhaus am Neumarkt nutzen konnten — Brandschutz, Gutachten, Absprachen mit der Verwaltung dauerten ewig: »Wenn der wachsende Leerstand in den Innenstädten ernsthaft belebt werden soll, muss das anders werden, wir sind in Bürokratie fast erstickt«, seufzt Angie Hiesl. Doch der Coup ist gelungen: Bis zum 10.11. wird das Performance-Duo auf über 6000 Quadratmetern in ­einer riesigen Ausstellung mit ­Inszenierungen, Panels, Artefakten, Filmen und Fotografien vier Jahrzehnte ihrer Kunst zelebrieren, zurückblicken auf ihre legendären Interventionen im ­öffentlichen Raum. Sie haben Maßstäbe gesetzt.

Angie Hiesl + Roland Kaiser machten bereits Site-Specific-Kunst, als das im Theater noch kaum jemand buchstabieren konnte. Weltweit Beachtung fand etwa ihr »X Mensch Stuhl«, das alte, oft unsichtbare Menschen auf Stühlen an Häuserfassaden platzierte. Sie schichteten mitten in der Stadt Haarberge, stapelten bunte Schüsseln, seilten Tänzer von der Südbrücke ab, gruben sie ein, ließen sie um Laternenpfähle winden, kopfüber in Mülleimern stecken — oder stellten den gesamten Nachlass einer Gestorbenen am Rudolfplatz aus.

Angie Hiesl + Roland Kaiser überführten in stundenlangen Settings Alltag in Kunst, Unbeachtetes in Schönheit, bis zur kompletten ­Verwirrung der Vorbeieilenden. An viele dieser Arbeiten werden sie im leeren Schuhhaus nun erinnern, neben Rolltreppen oder alten Werbeschildern — »spannend, unsere Arbeiten damit zu konfrontieren«, sagt Angie Hiesl. Dazu ­werden in der Multimedia-Ausstellung »AUSSER_­ORDENTLICH — Rückblick — ­Einblick — Ausblick« regelmäßig Diskussionen oder ­öffentliche Picknicke stattfinden. Wie kann Stadtraum klug umgenutzt werden, wie die Kunst Einzug halten in den vom Konsum besetzten Raum, der in vielen Städten verwahrlost?

Am 27.10. geht es darum, wie man die Flüchtigkeit solcher ­Aktionen archivieren kann, am 7.11. mit der Professorin für Städtebau Yasemin Utko über den »Freiraum Stadt« — und am 8.11. lädt das Duo Kölner Künstlerinnen, die ebenfalls im öffentlichen Raum ­arbeiten, etwa Drama Köln oder katze&krieg, ein über ihre Erfahrungen zu sprechen, von Polizei­einsätzen zu Ohnmachts-Anfällen. Was danach mit dem Goertz-­Gebäude geschieht, ist noch ­unklar — im Idealfall wäre der Weg geebnet für einen ­neuen Kunstort. 

Goertz-Schuhhaus, Zeppelinstraße, Do–So, 12–22 Uhr, bis 10. 11.