Sie kann beim besten Willen keine Faschistin erkennen, © Bavaria Media

Riefenstahl

Der Personenkult um die NS-Staatskünstlerin nimmt mit Andres Veiels Doku kein Ende

Siebentausend Kisten Nachlass standen erstmals für eine Auswertung zur Verfügung. Doch wenn man sich intensiver mit Leni Riefenstahl beschäftigt hat, erfährt man in Andres Veiels Dokumentarfilm wenig Neues. Warum sollte man auch? Zum Zeitpunkt ihres Todes 2003 war öffentlich bekannt, was man wissen muss: Riefenstahl hat mit »Der Sieg des Glaubens« (1933), »Triumph des Willens. Das Dokument vom Reichsparteitag 1934« und »Tag der Freiheit! — ­Unsere Wehrmacht« (1935), mit ­einigen Szenen des von ihr begonnenen, von Fritz Hippler beendeten »Der Feldzug in Polen!« (1940) sowie mit »Olympia: Fest der Völker & Olympia: Fest der Schönheit« (1937) einen zentralen Beitrag zur audiovisuellen Gestaltung des deutschen Faschismus geleistet. Sie hat sich bei den Dreharbeiten von »Der Feldzug in Polen!« und »Tiefland« (1953) verbrecherisch verhalten und ihre Rolle im Dritten Reich sowie ihre Bedeutung für die Nazis konsequent geleugnet. Auch wenn die Gerichte sie ab und an dazu zwangen, zumindest nicht zu lügen, wenn sie schon nicht die Wahrheit sagte. Riefenstahl hatte nichts gelernt, wahrscheinlich weil sie nichts hatte lernen wollen. Dem fügt Veiel nichts hinzu. Das faszinierendste Material aus seiner Doku, Ausschnitte aus der Talkshow »Je später der Abend« von 1976, findet man auf Youtube. Liest man die Kommentare darunter, wirken die Exzerpte aus Riefenstahls Tonbandmitschnitten ihrer Telefonate — die bislang unbekannt waren und so etwas wie eine Entdeckung des Films sind — nicht mehr sonderlich erschreckend. Die Altnazis, die ihrer Staatskünstlerin gut zureden, sind weiter unter uns. Sie waren es immer.

Die Frage lautet: Warum sind alle so besessen von Leni Riefen­stahl? Eva Hohenberger wies in den 1990er Jahren darauf hin, dass Riefenstahl künstlerisch alles andere als originell war. Im besten Fall kann man ihre Dokumentarfilme als Verdichtungen oder Zuspitzung der Nazi-kompatiblen Ästhetik ­jener Jahre sehen, ihre Spielfilme als solide Epigonalien ihrer Lehrmeister Arnold Fanck und Georg Wilhelm Pabst. Interessant sind heute vor allem die Folgen: Wie wirken diese Filme in unserer Bilderwelt fort? Aber damit beschäftigt sich Andres Veiel nicht, die Antwort auf diese Frage steckt ja auch nicht in den 7000 Kisten. Eine Beschäftigung damit aber wäre ergiebig und aufklärerisch.

D 2024, R: Andres Veiel, 120 Min., Start: 31.10.