Melodramatische Hochzeit in Las Vegas

Anora

Sean Baker erzählt die Geschichte einer verbotenen Liebe als launige Farce

Es versteht sich von selbst, dass die spontane Ehe, die die Haupt­figuren von »Anora« während ­eines Ausflugs nach Las Vegas schließen, nicht lange halten wird. Bei der unverhofften Braut Ani handelt es sich um eine ­toughe New Yorker Sexarbeiterin, der Bräutigam Iwan ist ein in ­jeder Hinsicht kindischer russischer Milliardärssohn. Sobald ­seine Eltern, die in der fernen ­Heimat weilen und im Film lange unsichtbar bleiben, die Neuigkeit erfahren, rufen sie den Priester Toros auf den Plan — der hatte den nichtsnutzigen Filius im New Yorker Feriendomizil der Familie beaufsichtigen sollen. Kaum dass die frisch Vermählten zurück aus Las Vegas sind, taucht Toros mit zwei Handlangern in besagter ­Villa auf, um resolut auf die Annullierung der Ehe zu drängen.

Wenn dann in einer langen Sequenz neben einem Nasenbein auch teures Mobiliar zu Bruch geht, schlägt Regisseur Sean Baker einen burlesken Ton an, den man von ihm bisher nicht gewohnt war. Ebenso ungewohnt wirkt die leise Melodramatik, in die der sparsame Plot schließlich mündet. Der unmittelbar folgende Abspann bleibt ohne Musik.

Gleichzeitig setzt der US-amerikanische Filmemacher konsequent die Auseinandersetzung mit Themen fort, die ihn mindestens seit 2012 beschäftigen, als er mit »Starlet« den internationalen Durchbruch erzielte. Baker knüpft etwa an die damals begonnene, betont unaufgeregte Darstellung von Sexarbeit an, deren Entstigma­tisierung er auch in Interviews fordert. Dabei keimt im Falle von »Anora« erneut der Verdacht auf, dass Bakers Abbildung des Metiers keinen unbedingten Realitätsanspruch erhebt — die Protagonistin kann doch auffallend umstandslos mit Lapdances und Gelegenheitsprostitution viel Geld ver­dienen.

Umso mehr bietet die kleinunternehmerische Sexarbeit sich hier aber als Metapher für eine (neoliberale) Lebenseinstellung an. Jedenfalls betont Bakers Figurenzeichnung, dass Ani den rein instrumentellen Bezug auf das ­eigene Selbst und die Mitmenschen so komplett verinnerlicht hat, dass sich unter den Vorzeichen einer zunehmend launigen Farce umso reizvoller die Frage stellt, ob diese Frau etwas anderes überhaupt noch erträumen kann. Und sei es bloß ein vulgäres Schlaraffenland, in das ein schwerreicher Kindskopf ihr hypothetisch den Weg ebnen könnte.

USA 2024, R: Sean Baker, D: Mikey Madison, Mark Eydelshteyn, Yuriy Borisov, 139 Min., Start: 31.10.