Auf Dienstgipfelhöhe

Materialien zur Meinungsbildung

Die Digitalisierung ist vorbei. Bitte legen Sie Papier und Bleistift bereit, es folgen ausführliche Informationen. Ja, Sie haben richtig gelesen: Der Hype ist vorbei! Denn wie wäre es anders zu deuten, wenn Gesine Stabroth, deren Zeitgenossenschaft ja kaum zu überbieten ist, jetzt Karten spielt? Karten! Aus Karton! Mit den Händen!

Kommen auch Postkarten, Landkarten und Karteikarten zurück? Oder ist es so ein sozialmedialer Humbug, wie wenn sich alle anziehen wie Oma Porz für den Tanztee anno dazumal? Oder wenn sie scharfe Chips futtern,
bis sie sich vor Schmerz die Zunge abschneiden wollen?

»Wir können doch mal Karten spielen. Es ist wie Gehirnjogging, bloß in der Gemeinschaft«, sagte Gesine Stabroth. Aber warum? »Ein Kartenspiel ist digital detox«, sprach da Gesine Stabroth. »Ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass du weißt, was digital ­detox ist. Außerdem ist es nachhaltig, es braucht keinen Strom.« Bevor ich mit teenagerhaftem Fragezeichen-Singsang hintendran »Lieferkette?« flöten konnte, meinte ­Gesine Stabroth: »Also was?« Da sagte ich:  »Mau-Mau!«

Mau-Mau ist nämlich das Kartenspiel, von dem jeder ­behauptet,
es spielen zu können, obwohl die Regeln ­ungeklärt sind. Es bräuchte ­einen Runden Tisch zur endgültigen Festsetzung der Mau-Mau-Regeln, wo Betroffene und Fachleute sich auf Augenhöhe committen. Kindergärtnerinnen und Altenpfleger brauchen Rückendeckung, wenn wieder Plastikbecher mit Fanta umkippen, weil jemand aufspringt und schreit: »Du darfst keinen Bauern auf die Sieben legen!«

Gesine Stabroth tat so, als hätte ich etwas ganz anderes gesagt und meinte: »Ja, Doppelkopf find ich auch super!« Da tauchten vor mir ­Bilder bräsiger Menschen auf, die sich um einen Tisch vom Flohmarkt gruppieren, auf dem eine Kerze in einer vor lauter Wachsgeklecker schon ganz pockigen Weinflasche steckt. Doppelkopf — das Skat der Erschlafften.

Aber mir fiel was Besseres ein:  ­Autoquartett! Das war mal der Renner! Es gab auch Varianten mit Panzern, Ozeanriesen, Super-Brummis und Kampfflugzeugen, und nur hier begegnete man Wörtern wie Bruttoregistertonne oder Dienstgipfelhöhe. So weckt man spielerisch Interesse für MINT-­Fächer! Bloß sind Panzer fast so sehr in Verruf geraten wie Autos, beide sind im progressiven Großstadtmilieu nur mit Zerknirschung zu thematisierende Fahrzeuge. Man könnte die Spielidee auf Wärmepumpen oder Unverpacktläden übertragen: Wer das am fairsten gehandelte lokale Superfood hat, sticht! Oder was wäre mit »Promi-Boomer mit krassem ökologischen Fußabdruck«? Ansonsten finde ich noch Schwarzer Peter gut, das ist auch retro, aber womöglich heikel, obwohl der Name ja... Gesine Stabroth meinte, ich solle mal mit dem Geplapper aufhören und ob ich Rommé kennen würde. Ich wusste nicht, wer Rommé ist. Etwa eine als Menstruierende gelesene Person aus ­ihrem »divers aufgestellten Umfeld«?

Eine Netzwerkende für ­Unverpacktläden, die den patriarchalen Strukturen der Influencer-Branche mit Selbstermächtigung trotzt? Würde sie auch zum ­Kartenspielen kommen? Na! Die Rommé spielt doch niemals mit jemandem wie mir Autoquartett! Hallo? Aber vielleicht könnte sie mir helfen, mein Telefon so einzustellen, dass bei Tobse Bongartz’ Anrufen dieser Warnton schrillt wie neulich im ganzen Land, oder das Geräusch eines Super-Brummis? Lustige Klingeltöne sind doch cool retro! Gibt es eigentlich noch die Klingelton-Charts? »Ach, vergiss es...«, sagte da Gesine Stabroth. Wir haben dann einen Film geguckt, es ging um ­toxische Männlichkeit, hat Gesine Stabroth mir nachher erklärt.

Wir haben das auf ihrem Tablet geguckt. Dass die Digitalisierung vorbei sei, nehme ich zurück.