»Energetisch eine Katastrophe«: Lutherkirche in der Südstadt

Lebendig begraben

Weil die evangelische Kirche sparen muss, ­sollen ­Luther- und Thomaskirche schließen

Manche sagen, die Lutherkirche sei das »Herz der Südstadt«. Nicht nur mit experimentellen Gottesdiensten hat die Gemeinde von sich reden gemacht, auch mit ­ihrem sozialen Programm, ­ihrer Nachbar­schaftshilfe. Im »Menschensinfo­nie­orchester« proben Obdachlose, zu Weihnachten werden Kindern aus armen Familien Wünsche erfüllt. Und dann ist da noch die Kultur, die Konzerte, die Klangkunst. Die Lutherkirche, sagt der langjährige Pfarrer Hans Mörtter, seit zwei Jahren im Ruhestand, sei ein »energetischer Ort«.

Doch die Kirche ist eben auch »energetisch eine Katastrophe«, sagt Mathias Bonhoeffer, Pfarrer der Kartäuserkirche, der anderen evangelischen Kirche der Südstadt. Auch deshalb soll die Lutherkirche in fünf Jahren schließen. Auch die Thomaskirche im Agnesviertel macht zu — so sieht es das »Zukunftskonzept« der evangelischen Innenstadtgemeinden vor, das das Presbyterium beschlossen hat. Damit schließen die Protestanten ausgerechnet Kirchen mit lebendigem Gemeindeleben und engagierten Mitgliedern. Pfarrer Bonhoeffer, Vorsitzender des Presbyteriums, hat mit seinem Kollegen Christoph Rollbühler von der Thomaskirche zum ­Gespräch geladen — man will sich erklären.

»Wir beerdigen kein totes Pferd. Das macht es so emotional«, sagt Bonhoeffer. Auslöser seien Finanz­analysen, die »klipp und klar gesagt haben: Wenn wir nicht handeln, sind wir 2027 oder 2028 pleite.« Wie alle Kirchen in Deutsch­land verlieren auch die evangelischen Innenstadtgemeinden Mitglieder — durch Austritte, aber vor ­allem durch Wegzug. Das Leben in der Großstadt sei teuer, da ­zögen viele Familien ins Umland, vor ­allem seit Corona, so Bon­hoeffer. Vor zehn Jahren hatten die Innenstadt­gemeinden 20.000 Mitglieder, jetzt sind es 15.000. »Nach unseren Prognosen sollten wir erst 2030 auf diesem Stand sein.«

Um sich von der Kirchensteuer unabhängiger zu machen, hat die Gemeinde in den vergangenen Jahren bereits die Christuskirche umgebaut, sowie das Antoniterquartier in der City errichtet — »Renditeobjekte, die Geld verdienen müssen«, so Bonhoeffer, um das Personal in den Kirchen halten und weiter für die Menschen in den Veedeln da sein zu können. Doch auch das reichte nicht. Nun sieht die Gemeindeleitung keine Alternative, als die beiden Kirchen zu schließen. Man gebe sie nicht komplett auf, sondern entwickle sie zu »diakonischen Standorten«: Auf dem Gelände der Thomaskirche soll die Karl-Immanuel-­Küpper-Stiftung Appartments für junge, psychisch ­erkrankte Menschen errichten, womöglich soll es auch einen Treffpunkt für die Gemeinde geben. Auch eine Wohnung für Kirchenasyl soll bleiben. Für die Lutherkirche sind die Pläne vage, es gibt Ideen für ein Hospiz oder ambulante Tagespflege für Senioren. Der denkmalgeschützte Kirchturm soll erhalten bleiben, ­alles andere soll weichen. Auch die Wohnung von Alida Pisu.

Wenn wir nicht ­handeln, sind wir 2027 pleite
Pfarrer Mathias Bonhoeffer

Als Prädikantin, ehrenamtliche Laienpredigerin, lebt Pisu in einer Gemeindewohnung der Lutherkirche. »Für mich war das ein Schock«, sagt Pisu — wegen der Menschen, für die sie seit Jahren da ist. »Ich kann dir von allen, die sonntags in die Kirche kommen, erzählen, wie sie leben, welche Sorgen sie haben. Sie haben hier geheiratet, ihre Kinder getauft, ihre Eltern beerdigt. Die verlieren ihre Heimat«, sagt Pisu. Sie verspüre Schmerz und Wut, aber Wut sei kein guter Ratgeber. Sie sei dankbar für das Schöne, das sie in der Gemeinde erleben durfte. Und: »Bis der Abrissbagger kommt, vergehen Jahre, in dieser Zeit kann sich viel verändern. Ich werde an der Veränderung mitwirken.«

Kann man die Schließung abwenden? An der Thomaskirche mag niemand so recht daran glauben. Es gebe die »vage Hoffnung«, den Kirchraum als Treffpunkt zu erhalten, heißt es dort. Öffentlich äußern möchte sich niemand, das sei auch »nicht gewünscht«, hört man. Manche beklagen, dass die Gemeinde nicht genug in die Entscheidung einbezogen wurde. Pfarrer Rollbühler, der den Zukunftsausschuss der Gemeinde leitet, widerspricht: »Jeden Monat informieren die Presbyter über den Sachstand, es gab jederzeit die Möglichkeit, uns zu fragen oder Protokolle einzusehen.« Im weiteren Prozess werde es Workshops geben, an denen sich die Gemeindemitglieder beteiligen können.

Die Lutherkirche sei »ein strah­lender Viermaster unter vollen ­Segeln«, den man nun absäge, sagt deren ehemaliger Pfarrer Hans Mörtter. Dabei zögen in der Nachbarschaft in der neuen Parkstadt Süd bald Tausende Menschen hinzu. Statt Kirchen abzureißen in einer Zeit der Vereinsamung, solle man über andere Modelle nachdenken. »Eine Gemeinde kann eine Kirche auch ohne Pfarrer aufrechterhalten und nach Verbündeten suchen, die bei der Finanzierung helfen«, so Mörtter. Etwas so Verbindendes habe man sonst nicht. »Es geht um das Herz der Südstadt.«