Neurofibromatose im Rampenlicht: Maske oder wahres Gesicht? © Faces Off LLC

A Different Man

Aaron Schimberg erzählt in seinem neuen Film eine Geschichte von Wunderheilung und Identitätskrise

»A Different Man« beginnt mit einem Beispiel schlechten Schauspiels: Vor billiger Studiokulisse mimt der Protagonist Edward so angestrengt einen Schwächeanfall, dass ein anonymer Regisseur ihn schnell zur Mäßigung auffordert. Schon bald bekommen wir das Ergebnis dieses umstandslosen Drehs vorgeführt: ein Video, das Firmen zur Mitarbeiter*innenschulung dienen wird, mahnt in geschäftsmäßigem Ton einen diskriminierungsfreien Umgang mit »Gesichtsdifferenz« an.

Damit sind die beiden Pole markiert, zwischen denen Regisseur und Drehbuchautor Aaron Schimberg bei seinem dritten Spielfilm souverän navigiert: trashige Übertreibung, zu der die Beschränkung durch einfache Mittel ebenso verleiten kann wie unangemessene Ambition, aber auch simple Sprach- und Handlungsregeln, auf die sogar die vielschichtigsten Anliegen von Identitätspolitik gern reduziert werden.

 

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Schon der zweite Spielfilm des US-Amerikaners, »Chained for Life« (2018), spielte mit Klischees von Billigkino und prätentiösem Autorenfilm, während ein Film-im-Film-Plot die Frage aufwarf, wie vermeintliche körperliche Fehlbildungen politisch korrekt zu repräsentieren seien. Das ergab ein interessantes Konzept, das damals nicht ganz aufging — weshalb es folgerichtig erscheint, dass Schimberg sich an einer Variation des Themas versucht. Dem schreibt er in Interviews eine autobiografische Bedeutung zu, da er seine beidseitige Gaumenspalte offenbar als identitätsprägend empfunden hat.

Die Hauptfigur aus »A Different Man« ist wie die im vorherigen Film von Neurofibromatose gezeichnet. Dann nimmt der erfolglose Schauspieler Edward an einer Medizinstudie teil und erlebt eine Wunderheilung. Als wir den Mann Jahre später wiedersehen, zum gewieften Immobilienmakler gewandelt, erblickt er auf der Straße zufällig seine ehemalige Nachbarin Ingrid. Deren Freundlichkeit dürfte einst amouröse Gefühle bei ihm geweckt haben, was wohl der paradoxe Grund war, warum er ihr nie mit seinem ’neuen’ Gesicht gegenübergetreten ist.

Der Regisseur hat seine beidseitige ­Gaumenspalte offenbar als identitätsprägend empfunden

Die angehende Dramatikerin hat ein Stück über jenen Edward geschrieben, den sie kannte, und beginnt mit der Vorbereitung der Off-Broadway-Produktion. Diese Rolle will Edward unbedingt spielen, wozu er sich ironischerweise nicht nur einer fingierten Identität bedienen muss, sondern auch eines zu Studienzwecken angefertigten Abdrucks seines ’alten’ Gesichts als Maske.

Dabei spiegeln sich die identitätspolitischen Dilemmata, die Ingrid hinsichtlich der Aufführung ihres Stückes abwägt, auch in der Besetzung und Inszenierung von »A Different Man«. Denn Edward wird in beiden Lebensphasen von Sebastian Stan verkörpert, der also gleich mehrfach hinter Masken steckt. Zunächst hinter einer naturalistischen Gesichtsprothese, die als solche kaum zu erkennen ist, weshalb dem unbeweglichen Abguss, den der geheilte Edward dann bei den Theaterproben nutzt, ein umso interessanterer Verfremdungseffekt zukommt.

Ein weiterer Kontrast ergibt sich aus dem Auftreten einer dritten Hauptfigur, die vom real mit Neurofibromatose lebenden Adam Pearson gespielt wird. Pearson als jovialer Lebemann Oswald verdrängt Edward nicht nur auf der Bühne aus der gewünschten Rolle, sondern auch im Privatleben von der Seite Ingrids.

Dieser Twist gibt Schimberg Anlass, ein Noir-Element zu entwickeln, das zu Beginn rein oberflächlich schien, aber zum sparsamen Budget des an New Yorker Originalschauplätzen auf Super-16-mm gedrehten Films bestens passt. Und wenn nun ein symbolträchtiger Wasserfleck an Edwards Zimmerdecke ein rätselhaftes organisches Gebilde freigibt, deutet Schimberg ebenso Spaß am Horrortrash an wie bei Auftritten eines stereotypen »Mad Scientist«.

Wohldosierte Albernheiten bewahren den Film vor dem Bierernst, der beim Thema Identitätspolitik womöglich droht. So können die vielen Facetten auch allgemeine Aspekte mitverhandeln: Fragen wie die, wann eine künstlerische Verarbeitung zwischenmenschlicher Erlebnisse zur Erfindung wird. Oder ob überhaupt jemandem so eine ungetrübte Heiterkeit möglich ist, wie der von Adam Pearson gespielte Oswald sie hier an den Tag legt.

USA 2023, R: Aaron Schimberg
D: Sebastian Stan, Renate Reinsve, Adam Pearson,
112 Min., Start: 5.12.