Bild der Wissenschaft
Rune Mields war bereits über 30, hatte eine Buchhändlerlehre abgeschlossen und vier Kinder zur Welt gebracht, als die gebürtige Münsteranerin in den 1960ern ihre Karriere als Malerin begann. In Aachen, wo zeitgenössische Positionen zum damaligen Zeitpunkt noch unbeachtet und avantgardistische Tendenzen nur marginal vertreten waren, wurde sie 1968 kurzerhand Mitbegründerin des Kunstvereins »Gegenverkehr — Zentrum für aktuelle Kunst e. V.«. Innerhalb von drei Jahren veranstaltete der Verein 30 Ausstellungen, zahlreiche Lesungen und Konzerte und brachte Künstler wie Gilbert & George, Gerhard Richter, Daniel Spoerri oder Mel Ramos nach Aachen. Schon bald wurde der Ort zu einem Schmelztiegel der Avantgarde mit Besucher*innen aus Düsseldorf und Köln, Belgien und den Niederlanden.
Als einzige Frau stellte Mields 1970 in der Gruppenausstellung »Fünf junge Deutsche — Bildnerische Raumsituationen« im Kunstverein ihre ersten Röhrenbilder aus, wo der Sammler und Mäzen Peter Ludwig ihr Bild »Nr. 26« erwarb. Dieses Gemälde bildet den Auftakt der Mields-Retrospektive im Aachener Ludwig Forum, wo Direktorin Eva Birkenstock bereits mit Überblicksschauen zu Katalin Ladik und Belkis Ayón starke Künstlerinnen in den Mittelpunkt stellte, deren Generation wenig gewürdigt wurde, und die sich ihren Platz erst erkämpfen mussten.
»Frauen können sowieso nicht malen«, wurde Mields von anderer Seite gesagt, eine ihrer Ausstellungen 1970 in Holland wurde als »sehr viril« bezeichnet — doch Mields ließ sich nicht beirren, beschäftigte sich weiter mit Zahlen- und Ordnungssystemen und übersetzte diese in ihre Malerei. Manches Mal war ihr männlicher Vorname sogar von Vorteil: Im Anschluss an die documenta 6 wurde sie nach Polen eingeladen da man sie für einen Mann gehalten hatte.
Inspiration für ihre Röhrenbilder holte Mields sich aus Fotos von technischen Geräten und Maschinen wie Raketenstufen, Öltanks, Steuerungsapparaten. Sie fertigte zunächst akribische, plastisch wirkende, kleine Bleistiftzeichnungen an, bevor sie die Entwürfe auf große Leinwände übertrug. Ein 92-teiliges Konvolut dieser Zeichnungen hat das Ludwig Forum im Zuge der Ausstellung erworben und präsentiert sie im ersten Teil neben ihren großformatigen Ausführungen in Öl auf Leinwand. Bis heute sind ihre Gemälde — bis auf wenige Ausnahmen — in Schwarz-, Weiß- und Grautönen gehalten. Das Rohr wirkte auf sie, so Mields im Gespräch, durch seine Kreisform wie ein ideales Objekt, durch das etwas hindurchfließen kann: Eine Verbindung stellt sich her. Gleichzeitig wirken die geometrischen Formen ihrer frühen Arbeiten brachial, sie rufen Assoziationen an Waffen oder Überwachungsapparate hervor und auch wenn dies von der Künstlerin nicht unbedingt intendiert war, so lässt sich dieser Gedankengang angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen kaum vermeiden.
Computer? »Hat mich nie interessiert!« Statt eines Smartphones gibt es in Rune Mields Wohnung nur ein altes Drehscheibentelefon
Das Objekt im Raum interessierte sie: Rohre, die durch die Wand kamen oder den Raum aufschnitten. Nicht überall stießen ihre Formexperimente auf Zustimmung. Eine Kritik titelte damals ganz unverfroren: »25-mal Langeweile«. Im Zuge einer beruflichen Neuorientierung ihres Mannes nach Hameln und ihrer Entscheidung, ohne die Familie nach Köln zu ziehen, widmete sie sich ab 1972 ganz der Malerei — eine moderne und fortschrittliche Lösung aus heutiger Sicht. Zufälligerweise wurde ihr eine Wohnung direkt gegenüber dem Galeriehaus Köln auf der Lindenstraße angeboten, so gelang ihr der Sprung in die rheinische Kunstmetropole.
»Wenn man Kunst machen will, muss man dafür brennen«, so ihr Statement. Sie genoss es, den ganzen Tag an der Kunst sitzen zu können und nicht immer aufhören müssen, um Care-Arbeit zu leisten, was sie zuvor viele Jahre hauptberuflich getan hatte. Schon früh setzte sie sich durch ihre Beteiligung an Ausstellungen wie »Frauen machen Kunst« in Bonn 1976/77 und »Künstlerinnen International 1877–1977« in Berlin 1977 für Frauen in der Kunst ein und überzeugte jüngere Kolleginnen, sich zu engagieren.
Mields verkaufte damals gut — aber die Arbeiten waren auch sehr günstig, wie sie sich schmunzelnd erinnert. Durch Naturwissenschaften wie Mathematik, Geometrie und Physik inspiriert, begann sie mit Primzahlen- und Tangentenbildern und löste sich mehr und mehr vom Gegenstand. Die Undurchschaubarkeit der Systeme fasziniert sie. So beschäftigte sie sich ab 1976 mit den chinesisch-japanischen Sanju-Primzahlen, die 1977 auf der documenta 6 gezeigt wurden und die nun eine weitere große Werkgruppe in der Ausstellung in Aachen bilden. Mit Tusche trug sie die Zahlenreihen von 0 bis 120.000 sorgfältig auf beinahe vier Meter lange Papierrollen auf, wo sie sich mit dem Aufsteigen der Zahlen visuell verdichten. Zwischen den Papierbahnen wird im Ludwig Forum außerdem das Kinderbuch »10 Finger und die Zahlen 1 bis 10« präsentiert, das Ziffernsysteme aus unterschiedlichen Teilen der Welt zeigt, darunter Keilschrift, Hieroglyphen-Ziffern, Maya-Ziffern, jeweils auf einer ausgestreckten Kinderhand. Auf der Suche nach den frühesten Zahlen- und Ordnungssystemen der Welt, die sie global betrieb, befasste Mields sich schließlich mit Höhlenmalerei und dann, noch weiter zurückgehend, mit den Schöpfungsmythen unterschiedlichster indigener Gruppen.
Der Fokus der aktuellen Schau liegt unterdessen auf den naturwissenschaftlichen Fragen und philosophischen Problemen, denen sich Mields schon am Anfang ihres Schaffens widmete. Der Titel der Schau »Der unendliche Raum — dehnt sich aus« verweist auf die Aufschrift eines Schildes, das sie 1971 im öffentlichen Raum in Monschau platzierte. Auch wenn ihre naturwissenschaftlich inspirierte und mathematisch berechnete Malerei kürzlich in der Ausstellung »beyond algorithms_digital utopia« in Bonn als eine Vorläuferin digitaler Kunst vorgestellt wurde, so dachte sie nie daran, einen Computer zu benutzen: »Hat mich nie interessiert!« Statt eines Smartphones gibt es in ihrer Wohnung nur ein altes Drehscheibentelefon.
Die aktuelle Ausstellung in Aachen schenkt zum nahenden 90. Geburtstag dem Frühwerk der Künstlerin die verdiente Aufmerksamkeit. Eine parallellaufende Kabinettausstellung arbeitet die Geschichte des Kunstvereins »Gegenverkehr« auf und stellt seinen revolutionären Impetus heraus. Die späteren Werkgruppen von Mields, die sich zwischen Naturwissenschaft und Spiritualität bewegen, warten weiterhin darauf, in größeren Zusammenhängen präsentiert zu werden, die ihre Pionierleistung angemessen würdigen.
»Rune Mields. Der unendliche Raum — dehnt sich aus«
Ludwig Forum Aachen, Jülicher Str. 97–109, 52070 Aachen
Di–So 10–17 Uhr, Do 10–20 Uhr, bis 2.3.2025