»Silvester Stallone und Catherine Deneuve als Vorbilder«
Frau Gascón, mit Ihrer Titelrolle im Drogenkrieg-Musical »Emilia Pérez« gelten Sie beim Filmfest in San Sebastián als große Entdeckung. Schon in Cannes wurden Sie ausgezeichnet. Wie kam es zu diesem Karriere-Höhepunkt?
Ich bin 52 Jahre alt und arbeite seit 30 Jahren in der Branche, aber das war mit Abstand meine wichtigste Produktion. Außerdem war es der bislang herausforderndste Job, nicht nur, weil ich im Film singen muss, obwohl ich keine professionelle Sängerin bin. Ich musste gleich zwei Rollen spielen: die Titelfigur Emilia Pérez und den Mann, der sie vor ihrer Transition war, der Gangsterboss Manitas. Ich wollte, dass beide charakterlich so weit wie möglich voneinander entfernt sind. Zwei gegensätzliche Pole.
Wie haben Sie das umgesetzt?
Zunächst haben wir viel mit Make-up und Kostümen ausprobiert. Als männliches Vorbild schwebte mir Silvester Stallone in »Rambo« vor, für den weiblichen Part hatte ich Catherine Deneuve vor Augen. Noch wichtiger war für mich, für beide Figuren die passende Stimme zu finden — auch bei den Songs. Am kniffligsten war der mexikanische Akzent, ich bin ja gebürtig aus Madrid.
Der Film spielt mit der Idee, dass ein Mensch nicht nur das Geschlecht angleichen, sondern auch seine Persönlichkeit verändern kann. Aus dem skrupellosen Gangster wird eine Frau, die sich für Gewaltopfer einsetzt. Wie realistisch finden Sie die Wendung der Geschichte?
Regisseur Jacques Audiard wollte einen Genrefilm drehen — inklusive bewusster Überhöhungen. Wir müssen zwischen der Welt da draußen und dem Kino unterscheiden. Auf der Leinwand sind Bösewichte und schwarze Schafe viel attraktiver. Wir fühlen mit einer Person, die ein Krimineller war und ein besserer Mensch geworden ist. Im wirklichen Leben akzeptieren wir das nicht so leicht. Verzeihen ist tatsächlich sehr schwer.
Wie sehen Sie als Transperson, die eine Transperson spielt, selbst die Entwicklung in der Filmbranche bezüglich Repräsentation und der Frage, wer in welchen Rollen besetzt wird?
Es hat sich viel getan in den vergangenen 15 Jahren. Früher wurden solche Transfiguren zur Leistungsschau für männliche Stars wie Jared Leto in »Dallas Buyers Club«, der für seinen »Mut« und seine »Wandlungsfähigkeit« einen Oscar gewann. Das wäre heute zumindest sehr seltsam. Aber ein und dieselbe Person für den männlichen und den weiblichen Part? Vielleicht bin ich da die erste, bei der das funktioniert hat.
Welche Art von Rollen würden Sie zukünftig gerne spielen?
Alles! Einen Blockbuster wie »Fluch der Karibik« oder »James Bond«, einen Abenteuerfilm, einen Western. Ob als Frau oder Mann, ist mir egal. Ich will mich nicht festlegen lassen, nur jemanden wie mich selbst würde ich ungerne darstellen. Je weiter weg von mir die Figur angelegt ist, desto besser.
Früher wurden Transfiguren zur Leistungsschau für männliche Stars wie Jared Leto
Warum?
Ich stehe morgens auf, füttere die Katzen, gehe einkaufen, wie öde! Ich verstehe Stars nicht, die eine Rolle aus Sorge um ein bestimmtes Image ablehnen. Es ist doch viel interessanter, sich in einen Mörder hineinzuversetzen als das Mäuschen zu spielen, das zur Bürotür hereinkommt und sagt: »Guten Morgen, Sir. Hier ist Ihr Kaffee.«
Im Netz gab es Stimmen, der Wandel von Manitas zu Emilia im Film sei keine realistische Darstellung einer Transition.
Du kannst es nicht allen recht machen. Du musst dein Bestes geben und deine ganze Seele in die Rolle stecken. Und wenn man etwas tut, weil man daran glaubt und seine Arbeit gut macht, wird es Leute geben, die es mögen, und andere, die es nicht mögen. Ich bin jedenfalls stolz darauf.
Sie werden als Kandidatin für eine Oscarnominierung gehandelt und wären die erste offene Trans-Schauspielerin, die einen Academy Award erhält.
Darüber zerbreche ich mir nicht den Kopf. Ich weiß nur, dass der Film die Aufmerksamkeit des Publikums verdient. Wenn im Kino Menschen weinen, lachen und mitfiebern, zählt das für mich mehr als ein Preis.
F/ MEX 2024, R: Jacques Audiard, D: Zoe Saldana, Karla Sofía Gascón, Selena Gomez, 130 Min., Start: 28.11.