Politisches Chaos, familiäres Chaos

Reinas — Die Königinnen

In Klaudia Reynickes Drama findet eine kaputte Familie unter extremen Umständen zusammen

Coming-of-Age-Geschichten konzentrieren sich gewöhnlich auf die Entwicklung ihrer jugendlichen Protagonisten. In Klaudia Reynickes Drama, das auf der diesjährigen Berlinale den Großen Preis der Jury erhielt, macht hingegen die ganze Familie eine spannende Entwicklung durch — allen voran der kindsköpfige Vater.

Realer Hintergrund der komplexen Geschichte sind die Unruhen in Peru während der frühen 90er Jahre. Das Land wird von Faschisten regiert, die aufständische Gruppe »Leuchtender Pfad« verübt Terroranschläge, nächtliche Ausgangssperren sind die Folge, Stromausfälle an der Tagesordnung, die Inflation steigt.

Aurora und Lucía wachsen in der Hauptstadt Lima in privilegierten Verhältnissen auf. Dennoch bekommen auch sie die Folgen der politischen Lage zu spüren. Ihre Mutter Elena hat sich deshalb entschlossen, in die USA auszuwandern, es fehlt nur noch die Unterschrift des Vaters unter der Ausreisegenehmigung. Doch Carlos, von dem Elena sich vor langer Zeit getrennt hat, ist ein unzuverlässiger Mann und notorischer Lügner. Eigentlich schlägt er sich als Taxifahrer und Sicherheitskraft durch, behauptet aber je nach Stimmung Schauspieler, Krokodiljäger oder Geheimagent zu sein. Elenas Mutter, die von der Almodovar-Veteranin Susi Sánchez verkörpert wird, verabscheut »El Loco«, den Verrückten, wie einige ihn nennen.

Dennoch ermutigt Elena ihren Ex-Mann, die verbleibenden drei Wochen vor ihrer Abreise mit seinen Töchtern zu verbringen. Reinas — Königinnen — nennt er Aurora und Lucía, die nach und nach von dem lebensfrohen Überlebenskünstler eingenommen werden. Man spürt förmlich Carlos’ Bemühen, den beiden noch ein paar schöne Erinnerungen an ihn mitzugeben. Bald ist er unsicher, ob er sie ziehen lassen soll. Auch den Mädchen kommen Zweifel. Dabei wechselt der Film geschickt zwischen den Perspektiven der Schwestern und ihres Vaters. Darüber hinaus macht auch die Mutter eine wichtige Entwicklung durch.

Die schweizerisch-peruanische Regisseurin kann sich voll auf ihr großartiges Ensemble verlassen, besonders auf die jungen Schauspielerinnen, die Aurora und Lucía verkörpern, und auf Gonzalo Molina als Carlos. Die chaotische Situation im Land beeinflusst letztlich jeden Einzelnen und hält die gesamte Familie in Schwung. Indem die Eltern und ihre Töchter die Realität anerkennen, rücken sie als Familie näher zusammen.

(Reinas) PE/CH/E 2023, R: Klaudia ­Reynicke, D: Abril Gjurinovic, Luana Vega, Jimena Lindo, 102 Min., Start: 5.12.