Da macht der »Westen« große Augen

Urotsukidoji I & II

Ein 1980er-Revival der besonderen Art: Takayama Hidekis Tentakelspektakel im Doppelpack

Es gehört Mut dazu, diese beiden Anime-Klassiker ins Kino zu bringen, da sie schon vor rund drei Jahrzehnten für Aufregung sorgten: Takayama Hidekis Manga-Adaptionen »Urotsukidoji — ­Legend of the Overfiend« (1989) und »Urotsukidoji II: Legend of the Demon Womb« (1991) hatten in den wilderen Heimvideo-Zeiten einen ähnlichen Mutproben-Status wie etwa Ruggero Deodatos »Cannibal Holocaust« (1980). Wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen: Ging es in diesen Fällen um die Konfronta­tion mit realen Tabus, so überschritt man mit dem »Urotsukidoji«-Komplex die Grenzen dessen, was man so an Sex- und Gewaltdarstellungen für möglich hielt. Dieser Tage mögen Dildomaschinen im Porno- und Sex-Cam-Bereich irritierend allgegenwärtig sein, aber vor rund 35 Jahren waren sie genauso grotesk-­verstörend wie Pene­tra­tionen durch einäugige Tentakelzungen. Oder wie die ­Figur des wahnsinnigen Magiers Münchhausen II, der aussieht wie die Lumpenpuppe-Variante eines Hitler-Klons, verblüffend passa­bles Deutsch brabbelt — und natürlich den ­Kosmos unter seine Kontrolle bringen will.

Maeda Toshios ungleich harm­losere Manga-Vorlage ist ein typisches Popkulturprodukt der japanischen 80er Jahre, als die Exzesse wie spirituellen Verheerungen der Bubble Economy sich Bahn brachen in einer BDSM-seeligen postmodernen Weiterentwicklung des sogenannten Ero-gro-Nonsense. Das war eine zentrale Kunst­tendenz der japanischen Moderne, speziell der ersten Hälfte der 1930er Jahre, die wiederum auf Farbholzschnitt- und Kabuki-Genres des 18. und 19. Jahrhunderts fußte.

Für Japaner war dieses Spektakel von Körpern in grausamsten Zerstörungsexstasen also nur eine Aktualisierung alter Phantasien, die oft, man muss es so klar sagen, misogyner Natur waren. In unseren Breitengraden bereiteten einen dagegen nicht mal adäquat illustrierte Marquis-de Sade-Ausgaben auf so manche Urotsukidoji-Augenblicke vor. Der Westen zeigte sich fasziniert von Bildern, die man immerhin mit Clive Barker oder David Cronenberg zusammen denken konnte. Bedauer­lich, dass sich daraus üble Japan-Klischees entwickelten, die bis heute in den Hirnen zu vieler Leute herumschwirren. 

All das macht den Doppelstart zu einer Delikatesse für jene, die vom Kino nicht direkt auf die Welt schließen. Und zu einem Eighties-Revival-Beitrag der besonders pointierten Art. 

(Chōjin densetsu Urotsukidōji: Chōjin tanjō hen/Chōjin densetsu Urotsukidōji 2: Chōjin jusatsu hen), J 1989/1991, R: Takayama Hideki, 128 Min./ 88 Min., Start: jeweils 28.11.