Hoffnung im Autoritarismus: Doğan Akhanlı (1957–2021), Foto: Sujet Verlag

Blick zurück nach vorn

Doğan Akhanlıs posthumer Roman »Sankofa« gibt ­Hoffnung in autoritären Zeiten

Zum Autoren ist Doğan Akhanlı durch die Umstände geworden. In einer von Depressionen gekennzeichneten Nacht im Jahr 1995 ­beschloss er, einen literarischen Text zu schreiben. Vier Jahre ­zuvor war er nach Köln geflohen, nachdem er, der politische Aktivist aus einem kleinen Ort am Schwarzen Meer, viele Jahre in ­einem türkischen Gefängnis ­verbracht hatte.

Damit ist der 2021 verstorbene Akhanlı der Haupfigur seines letzten Romans »Sankofa« nicht unähnlich. »Er würde auf keinen Fall zulassen, dass die Geschichte sich wiederholt, und würde sein Leben der Befreiung der erstickenden Arbeiter widmen«, heißt es darin über Tayfun Kara, einen jungen Aktivisten aus Anatolien. Nach dem Militärputsch im Jahr 1980 wird er verhaftet, aber kann aus dem Gefängnis fliehen, in dem er mit anderen Gefangenen einen langen Tunnel gräbt. Auf der Flucht verliert er die über 2000 Briefe, die ihm seine Frau Gülsen ins Gefängnis geschickt hat.

Und genau diese Briefe liest ein namenloser, türkischer Oberleutnant, der den entflohenen Kara wieder einfangen soll. Und diese Zeugnisse der Liebe ändern dessen Leben: Er quittiert den ­Militärdienst, und verlässt die Türkei, um seiner großen Liebe nach Köln zu folgen, wo er fortan als Dokumentarfotograf von Kriegsschauplätzen berichtet. Hier treffen er und der mittler­weile nach Köln geflohene Kara schließlich einander wieder. ­Damit beginnt der zweite Strang des Romans, der sich der jüngeren Vergangenheit in der Bundesrepublik Deutschland widmet: die Brandanschläge in Mölln und Solingen, der Terror des NSU.

»Sankofa« ist benannt nach ­einem Vogel aus der ghanaischen Mythologie, der seinen Kopf nach hinten — in die Vergangenheit — richtet, um daraus für die Zukunft zu lernen. Und so wirken die Rückblicke auf die national-­autoritäre Wende in der Türkei wie ein Blick ins Deutschland der Gegenwart: der vorauseilende Gehorsam, die Phrasen der Regierenden, der repressive Staatsapparat. Über all dem schwebt in »Sankofa« aber die Hoffnung, dass Kunst, Theater oder Literatur sich dieser Gegenwart entgegenstellen könnten, indem sie Menschen als Wesen mit Gefühlen, Empathie und Widersprüchen beschreiben. So wie es Doğan Akhanlı tut.

Doğan Akhanlı: »Sankofa«, Sujet Verlag, 563 Seiten, 29,80 Euro