Ökonomie der Liebe
Vom Leben, auch dem Zusammenleben mit Behinderung hat man in der deutschen Literatur bisher kaum gelesen, erst recht nicht in einem Roman, dessen Personal sich auch aus Love Scammern rekrutiert, jungen Männern aus dem globalen Süden, die weißen Frauen auf Social Media romantische Interessen vortäuschen.
Ihre raren Sujets erzählt Martina Hefter in ihrem mit dem Deutschen Buchpreis prämierten »Hey guten Morgen, wie geht es dir?« in einer poetischen, schlanken Prosa um ihre Protagonistin Juno herum, einer etwas über 50-jährige Leipziger Performancekünstlerin. Wenn Jupiter, ihr an Multipler Sklerose erkrankter Mann, sich abends in seinem Pflegebett schlafen legt, begibt die schlaflose Juno sich in Chats mit Scammern. Juno weiß um deren Betrug, aber lügt sich spielerisch ein Leben zurecht, ein ganz anders als jenes mit Jupiter.
Wenn die beiden im Zug nach Berlin reisen, bestellt sie den Nachbarn, um Jupiters Rollstuhl aus der nicht barrierefreien Wohnung auf die Straße zu bekommen, und am Bahnsteig sorgt sie brüllend für eine Einstiegshilfe. Den Müll bringt nur sie raus, nicht Jupiter. Es ist Arbeit, die diese ambivalent gezeichnete Liebesbeziehung einfordert, und es ist anstrengend. »Juno hasst sich dafür, dass sie das hasst. Juno steht vor ihrer Wirklichkeit, die sie den Scammern verschweigt, und sie ist eine undurchdringliche Wand.«
Aber dann chattet sie mit Benu aus einer nigerianischen Mittelstadt, wie sie rasch erfährt, weil beide den Theatervorhang des Scammings zur Seite reißen. Wie intim ihr Austausch wird, davor erschrickt Juno genauso wie vor den kolonialen Fragen. »Das war alles zu schnell gegangen, und das Spiel hatte eine andere Wendung genommen als üblich.«
Unterschiedliche Fäden sind in dieses Textgewebe eingesponnen. Einerseits entwickelt der Roman einen von der globalen Social-Media-Gesellschaft gesättigten Sozialrealismus, andererseits nutzt er Anleihen aus der römisch-antiken Mythologie, in der Juno die Göttin von Ehe, Familie und Fürsorge ist und Jupiter die oberste Gottheit. Einerseits narrative Passagen, andererseits in den Text montierte Chats und Skripte von Performances und Filmsequenzen. Die Widersprüche lösen sich nicht auf, in der Form von Martina Hefters Roman wie in der Liebe im globalen Online-Kapitalismus.
Um ein Versprechen ganz anderer Art geht es in der Weihnachtsgeschichte, die Hefner neben ihrem Roman in Köln vorstellen wird.
Martina Hefter: »Hey, guten Morgen, wie geht es dir?«, Klett-Cotta, 224 Seiten, 22 Euro